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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Pause. Marianne war äußerst erregt, und sie endete schließlich mit den Worten: »Elinor, ich muß nach Hause. Ich muß Mama trösten. Können wir nicht morgen abreisen?«
    |207| »Morgen, Marianne!«
    »Ja, warum sollte ich hierbleiben? Ich bin nur wegen Willoughby hergekommen – und dann, wer mag mich denn noch? Wer schätzt mich noch?«
    »Es ist unmöglich, morgen schon abzureisen. Wir schulden Mrs.   Jennings viel mehr als nur Höflichkeit; und schon die gewöhnlichste Höflichkeit muß eine so hastige Abreise ausschließen.«
    »Nun, dann vielleicht noch ein, zwei Tage; aber ich kann hier nicht länger bleiben, ich kann nicht bleiben und die Fragen und Bemerkungen all dieser Leute über mich ergehen lassen. Die Middletons und die Palmers – wie soll ich ihr Mitleid ertragen? Das Mitleid von einer Frau wie Lady Middleton! Oh, was würde
er
dazu sagen!«
    Elinor riet ihr, sich wieder hinzulegen, und einen Augenblick lang tat sie es; aber keine Lage verschaffte ihr Erleichterung, und in schmerzlicher Ruhelosigkeit an Geist und Körper warf sie sich hin und her, bis sie immer hysterischer wurde; ihre Schwester konnte sie kaum im Bett halten, und eine Zeitlang fürchtete sie, daß sie gezwungen sein würde, Hilfe zu holen. Doch einige Lavendeltropfen, die zu nehmen sie Marianne schließlich bewegen konnte, halfen etwas; und von dieser Zeit an, bis Mrs.   Jennings zurückkam, blieb sie ruhig und bewegungslos auf dem Bett liegen.

|208| Kapitel 30
    Mrs.   Jennings kam bei ihrer Rückkehr sofort zu ihrem Zimmer, und ohne die Antwort auf ihre Bitte um Einlaß abzuwarten, öffnete sie die Tür und kam mit einem Ausdruck echter Besorgnis zu ihnen herein.
    »Wie geht es Ihnen, meine Liebe?« fragte sie Marianne voller Mitleid, die jedoch das Gesicht abwandte, ohne den Versuch zu machen, eine Antwort zu geben.
    »Wie geht es ihr, Miss Dashwood? Die Arme! Sie sieht sehr schlecht aus. Kein Wunder. Ja, es ist nur zu wahr. Er wird sehr bald heiraten – ein nichtsnutziger Bursche! Für mich ist er erledigt. Mrs.   Taylor hat es mir vor einer halben Stunde erzählt, und sie hatte es von einer guten Freundin von Miss Grey selber erfahren, sonst hätte ich es bestimmt nicht geglaubt; ich bin beinahe in Ohnmacht gefallen. Na, hab ich gesagt, alles, was ich dazu sagen kann, ist, daß er – wenn es stimmt – einer jungen Dame meiner Bekanntschaft abscheulich mitgespielt hat, und ich wünsche von ganzem Herzen, daß ihm seine Frau das Leben zur Hölle macht. Und dabei bleibe ich, meine Liebe, darauf können Sie sich verlassen. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Männer sich so verhalten; und wenn ich ihm jemals wieder begegnen sollte, dann werde ich ihm so den Kopf waschen, wie er es lange nicht erlebt hat. Aber es gibt einen Trost, meine liebe Miss Marianne – er ist nicht der einzige junge Mann, den es sich lohnt zu heiraten; und mit Ihrem hübschen Gesicht wird es Ihnen nie an Bewunderern fehlen. Armes Ding, ich will Sie nicht länger stören, denn Sie sollten sich lieber gleich tüchtig ausweinen und es dann gut sein lassen. Zum Glück kommen ja heute abend die Parrys und die Sandersons, das wird Sie ablenken.«
    |209| Dann verließ sie auf Zehenspitzen das Zimmer, als glaubte sie, Geräusche würden den Kummer ihrer jungen Freundin noch vergrößern.
    Zur Überraschung ihrer Schwester beschloß Marianne, ebenfalls zum Dinner zu kommen. Elinor riet ihr sogar ab. Aber – nein, sie wolle hinuntergehen; sie könne das sehr wohl ertragen, und der ganze Tumult ihretwegen wäre dann auch geringer. Elinor, die erfreut war, daß sie sich von einem solchen Motiv leiten ließ, sagte nichts mehr, doch hielt sie es kaum für möglich, daß sie bis zum Ende des Dinners durchhalten würde; und während Marianne noch auf dem Bett liegenblieb, brachte ihr Elinor das Kleid, so gut es ging, in Ordnung und war bereit, ihr, sobald sie gerufen wurden, zum Speisezimmer hinunterzuhelfen.
    Obgleich Marianne schrecklich elend aussah, aß sie mehr und war ruhiger, als ihre Schwester es erwartet hatte. Hätte sie versucht zu sprechen, oder wäre sie sich auch nur der Hälfte von Mrs.   Jennings’ wohlmeinenden, doch unangebrachten Aufmerksamkeiten für sie bewußt gewesen, hätte sie diese Ruhe nicht aufrechterhalten können; doch kein Wort kam von ihren Lippen, und ihre Geistesabwesenheit schützte sie davor, etwas von dem wahrzunehmen, was um sie her vorging.
    Elinor, die Mrs.   Jennings’ Freundlichkeit durchaus würdigte, obgleich

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