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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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die Art und Weise, wie sie diese zum Ausdruck brachte, oft quälend und manchmal fast lächerlich war, dankte ihr für alles und erwiderte ihre Höflichkeiten anstelle ihrer Schwester, die dazu nicht imstande war. Ihre gütige Freundin sah, daß Marianne unglücklich war, und meinte, daß man ihr alles schulde, was diesen Zustand auch nur ein wenig lindern konnte. Sie behandelte sie deshalb mit der ganzen nachsichtigen Liebe einer Mutter zu ihrem Lieblingskind am letzten Tag seiner Ferien. Marianne sollte den besten Platz am Feuer haben, sollte zum Essen jeglicher Delikatesse, die im Haus zu finden war, verlockt und durch das Berichten aller Neuigkeiten des Tages unterhalten werden. Hätte Elinor in dem traurigen Gesicht ihrer Schwester nicht einen Dämpfer |210| für alle Heiterkeit gesehen, hätten sie Mrs.   Jennings’ Bemühungen, Enttäuschung in der Liebe mit allerlei Süßigkeiten und Oliven und einem guten Feuer zu kurieren, durchaus amüsieren können. Doch sobald dies Marianne durch die ständige Wiederholung ins Bewußtsein drang, konnte sie nicht länger bleiben. Mit einem hastigen Ausruf über ihren elenden Zustand und einem Zeichen zu ihrer Schwester, ihr nicht zu folgen, stand sie augenblicklich auf und eilte aus dem Zimmer.
    »Armes Kind«, rief Mrs.   Jennings, sobald sie fort war, »wie es mich bekümmert, sie so zu sehen! Und sie ist doch wirklich gegangen, ohne ihren Wein auszutrinken! Und die getrockneten Kirschen hat sie auch nicht gegessen! Lieber Gott, nichts scheint ihr gutzutun. Wenn ich nur irgend etwas wüßte, das sie mag, ich würde bestimmt in der ganzen Stadt danach schicken. Na, für mich ist es völlig unbegreiflich, wie ein Mann einem so hübschen Mädchen so mitspielen kann! Aber wenn auf einer Seite eine Menge Geld vorhanden ist und auf der anderen so gut wie keins, du lieber Himmel, dann ist ihnen das alles nicht mehr wichtig!«
    »Dann ist die Dame   – Sie nannten sie wohl Miss Grey – also sehr reich?«
    »Fünfzigtausend Pfund, meine Liebe. Haben Sie Miss Grey schon einmal gesehen? Ein elegantes, modisch gekleidetes Mädchen, heißt es, aber nicht schön. Ich erinnere mich sehr gut an ihre Tante, Biddy Henshawe; sie heiratete einen sehr reichen Mann. Aber in der Familie sind sie alle miteinander reich. Fünfzigtausend Pfund! Und nach allem, was man hört, kommt es keinen Moment zu früh, denn es heißt, er ist völlig am Ende. Kein Wunder, wo er ständig mit seinem Kabriolett und seinen Pferden herumjagt! Na, was soll man weiter darüber reden, aber wenn ein junger Mann, wer es auch sein mag, daherkommt und sich in ein hübsches Mädchen verliebt und verspricht, es zu heiraten, hat er nicht sein Wort zu brechen, nur weil er arm wird und ein reicheres Mädchen bereit ist, ihn zu nehmen. Warum verkauft er in einem solchen Fall nicht seine Pferde, verpachtet sein Haus, entläßt seine Diener |211| und ändert sofort seinen ganzen Lebensstil? Ich garantiere Ihnen, Miss Marianne wäre bereit gewesen zu warten, bis alles wieder in Ordnung gekommen wäre. Aber so etwas gibt es heutzutage nicht; die jungen Männer von heute würden niemals etwas von ihren Vergnügungen aufgeben.«
    »Wissen Sie, was für ein Mädchen Miss Grey ist? Hält man sie für liebenswürdig?«
    »Ich habe niemals etwas Schlechtes über sie gehört; tatsächlich habe ich sie kaum jemals erwähnen hören; außer daß Mrs.   Taylor heute morgen sagte, Miss Walker hätte ihr gegenüber angedeutet, sie glaube, Mr. und Mrs.   Ellison würden es nicht bedauern, wenn Miss Grey heirate, denn sie und Mrs.   Ellison wären nie gut miteinander ausgekommen.«
    »Und wer sind die Ellisons?«
    »Ihre Pflegeeltern, meine Liebe. Aber jetzt ist sie volljährig und kann selbst entscheiden; und eine nette Wahl hat sie getroffen! – Und was nun   ...«, sagte sie nach einer kurzen Pause, »Ihre arme Schwester ist wohl auf ihr Zimmer gegangen, um für sich allein zu klagen. Gibt es denn gar nichts, womit man sie trösten kann? Armes Mädchen, es scheint mir ziemlich unbarmherzig, sie allein zu lassen. Na, so nach und nach werden wir ein paar Freunde hierhaben, das wird sie ein wenig ablenken. Was sollen wir spielen? Ich weiß, sie haßt Whist, aber gibt es nicht ein Gesellschaftsspiel, das sie gern macht?«
    »Liebe Ma’am, dieses freundliche Angebot ist ganz unnötig. Marianne wird ihr Zimmer heute abend gewiß nicht mehr verlassen. Ich will sie zu überreden versuchen, zeitig zu Bett zu gehen, denn sie braucht

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