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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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was man sich wünschen kann; und außerdem liegt es nahe der Kirche und nur eine Viertelmeile von der Chaussee entfernt; es ist also nie langweilig, denn wenn man sich nur in die alte Eibenlaube hinter dem Haus setzt, kann man all die Kutschen sehen, die vorbeikommen |214| . Oh, das ist ein wunderbares Anwesen! Ein Fleischer im Dorf ganz in der Nähe, und das Pfarrhaus nur einen Steinwurf weit entfernt. In meinen Augen tausendmal schöner als Barton Park, wo sie genötigt sind, drei Meilen nach ihrem Fleisch zu schicken und sie keinen Nachbarn näher dran haben als Ihre Mutter. Na, ich werde sobald wie möglich den Colonel anstacheln. Sie wissen ja, der Appetit kommt beim Essen. Wenn wir ihr nur Willoughby aus dem Kopf schlagen könnten!«
    »Ja, wenn wir das nur könnten, Ma’am«, sagte Elinor, »dann hätten wir schon etwas erreicht, mit oder ohne Colonel Brandon.« Darauf erhob sie sich und ging zu Marianne, die sie, wie sie es erwartet hatte, in ihrem Zimmer in stillem Kummer über die kleinen Reste des Feuers gebeugt fand, das bis zu Elinors Eintritt ihr einziges Licht gewesen war.
    »Du solltest mich lieber allein lassen«, war die ganze Beachtung, die ihre Schwester von ihr erfuhr.
    »Ich werde dich allein lassen, wenn du zu Bett gehst.« Doch das zu tun, weigerte sie sich aus einer momentanen Halsstarrigkeit ihrer leidvollen Unduldsamkeit heraus. Aber die dringenden, doch gütigen Überredungsversuche besänftigten sie bald und ließen sie zustimmen; und Elinor sah schließlich, wie Marianne ihren schmerzenden Kopf auf ihr Kissen legte und, wie sie es gehofft hatte, etwas Ruhe fand, bevor sie hinausging.
    In den Salon, in den sie sich begab, kam bald auch Mrs.   Jennings mit einem vollen Weinglas in der Hand.
    »Meine Liebe«, sagte sie beim Hereinkommen, »ich habe mich gerade daran erinnert, daß ich noch etwas von dem besten Konstantiawein im Haus habe, den je ein Mensch getrunken hat – da habe ich ein Glas voll davon für Ihre Schwester mitgebracht. Mein armer Mann, wie er den liebte! Immer wenn er einen seiner alten kolikartigen Gichtanfälle hatte, sagte er, er helfe ihm mehr als alles andere in der Welt. Bitte, bringen Sie es Ihrer Schwester.«
    »Liebe Ma’am«, erwiderte Elinor, lächelnd über die so verschiedenartigen Beschwerden, für die er empfohlen wurde, |215| »Sie sind zu gütig! Aber ich habe Marianne gerade im Bett zurückgelassen, und sie schlief schon fast – das hoffe ich jedenfalls; und da ich denke, daß ihr nichts so guttun wird wie Schlaf, werde ich, wenn Sie erlauben, den Wein selbst trinken.«
    Mrs.   Jennings war, obgleich sie bedauerte, daß sie nicht fünf Minuten früher gekommen war, mit diesem Kompromiß zufrieden; und während Elinor den Wein fast austrank, sagte sie sich, daß seine Heilkraft – wenngleich die gute Wirkung bei Gichtanfällen für sie im Augenblick kaum von Bedeutung war – für ein enttäuschtes Herz mit ebensolcher Berechtigung an ihr selbst ausprobiert werden könne wie an ihrer Schwester.
    Colonel Brandon kam, als sie beim Tee waren, und an der Art, wie er sich nach Marianne umsah, meinte Elinor sogleich zu erkennen, daß er weder erwartete noch wünschte, sie dort zu sehen, und das hieß, daß er den Grund für ihre Abwesenheit bereits kannte. Mrs.   Jennings war dieser Gedanke nicht gekommen; denn bald nach seinem Erscheinen ging sie durch den Salon zum Teetisch, an dem Elinor den Tee zubereitete, und flüsterte: »Der Colonel sieht so ernst aus wie immer. Er weiß nichts davon; erzählen Sie es ihm doch, meine Liebe.«
    Kurz darauf rückte er einen Stuhl nahe zu ihr heran, und mit einem Blick, der sie vollkommen davon überzeugte, wie gut er informiert war, erkundigte er sich nach ihrer Schwester.
    »Marianne geht es nicht gut«, sagte sie. »Sie war den ganzen Tag unpäßlich; wir haben sie überredet, zu Bett zu gehen.«
    »Dann«, erwiderte er zögernd, »stimmt es wohl doch, was ich heute vormittag gehört habe – es ist wohl mehr Wahres daran, als ich zu Anfang für möglich gehalten habe.«
    »Und was haben Sie gehört?«
    »Daß ein Herr, von dem ich Grund hatte anzunehmen – kurz gesagt, daß ein Mann, von dem ich wußte, daß er verlobt war   ... Aber wie soll ich es Ihnen sagen? Wenn Sie es bereits |216| wissen, was sicher der Fall sein wird, dann mag mir die Antwort erspart bleiben.«
    »Sie meinen«, erwiderte Elinor mit erzwungener Ruhe, »Mr.   Willoughbys Heirat mit Miss Grey. Ja, wir wissen alles. Dies scheint ein Tag

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