Versteckt wie Anne Frank
Deportation freigestellt. Obwohl Freddys Mutter ohne Frage Angst hatte, war ich immer willkommen und durfte ein paar Tage bleiben. Dann bekam ich Freddys Zimmer und er schlief im Wohnzimmer.
Eines Morgens, als ich mich dort versteckt hielt, wurde ich von seltsamen Geräuschen geweckt. Ich war vernünftig genug nicht nachzusehen. Freddys Vater war Diamantspalter. Die Deutschen verdächtigten ihn Diamanten im Haus zu haben, die längst hätten abgegeben werden müssen. Äußerst sorgfältig durchsuchten sie die Wohnung, nur vergaßen sie das Zimmer, in dem ich mucksmäuschenstill auf das Ende der Hausdurchsuchung wartete. Das war ein unvorstellbarer Glücksfall. Warum kamen sie nicht in dieses Zimmer? Dass ich den Krieg überlebte, ist einer ganzen Reihe von glücklichen Zufällen dieser Art zu verdanken.
Schließlich landete ich in der Hobbemakade in einer verlassenen, jedoch vollständig möblierten Wohnung. Die Juden, die dort gelebt hatten, waren schon deportiert worden. Jemand vom Widerstand brachte mir jeden Tag etwas zu essen und unterhielt sich kurz mit mir. Ein einsamer Ort. Ich fühlte mich dort verlassen und traurig.
Auch an dieser Adresse blieb ich nicht lange, die Wohnung konnte jeden Moment geräumt werden. »Gepulst« nannte man das. Dann kam die Umzugsfirma Abraham Puls, die alles aus der Wohnung mitnahm.
Schließlich wurde ich bei Tine und Herman Waage-Kramer aufgenommen, die auch im Widerstand waren. In ihrer Vierzimmerwohnung in der Bronckhorststraat waren noch mehr Juden versteckt, unter ihnen ein kranker Mann. Dort gab es immer Platz für Notfälle.
Eines Tages hoffte Tine, Arbeit für mich in Amersfoort gefunden zu haben. Ich könnte bei zwei älteren Damen als Dienstmädchen arbeiten. Tine unterhielt sich mit den Frauen, während ich in einem anderen Raum warten sollte. Einen Moment später kam sie wieder: »Wir fahren zurück nach Amsterdam, Nancy.« Draußen erzählte sie mir, die Frauen wollten mich nicht annehmen, weil ich zu jüdisch aussah.
Kurze Zeit später hörten wir, dass in der Bronckhorststraat eine Razzia stattfinden würde. Innerhalb von wenigen Stunden packten wir unser gesamtes Hab und Gut ein und zogen in eine leer stehende Wohnung auf dem Merwedeplein. Tatsächlich gab es abends eine Razzia.
In diesen Wochen redete ein junger Mann vom Widerstand, er hieß Stef oder Steven, stundenlang auf meine Eltern ein, um sie davon zu überzeugen, meine jüngere Schwester Via untertauchen zu lassen. Endlich stimmten sie zu, auch weil er ihnen versprach, Via käme zunächst zu mir. Am Abend des 19. Juni 1943 sollte Stef sie abholen.
Er kam an diesem Abend spät nach Hause, ohne meine Schwester. Er hatte einen schlechten Tag gehabt, war völlig erschöpft. »Morgen Früh«, sagte er, »dann hole ich sie ab.«
Am Morgen des 20. Juni 1943 fand in Amsterdam-Zuid eine Großrazzia statt, bei der alle noch anwesenden Juden aus ihren Wohnungen geholt wurden. Meine Eltern und meine Schwester wurden direkt nach Sobibor deportiert. Es ist immer noch unerträglich: eine einzige Nacht zu spät.
Ein paar Wochen danach kam Tine abends nicht nach Hause. Unruhig saßen wir da und warteten. Einige schlimme Stunden vergingen, bis wir hörten, dass die Widerstandsgruppe, zu der sie gehörte, geschnappt worden war. Sofort verließen alle die Wohnung, nur Stef und ich blieben übrig. Wir schliefen in dieser Nacht in einem Unterschlupf im Badezimmer. Am nächsten Morgen ging ich wieder zu meiner Notadresse, zu Freddys Eltern in der Rijnstraat.
Durch den herrschenden Personalmangel gelang es mir, Arbeit in einem Heim für wohlhabende Senioren zu finden. Neun Monate versteckte ich mich dort. Während dieser Zeit habe ich kilometerweise Flure gewischt. Das fand ich nicht schlimm. Ich war froh, etwas Nützliches tun zu können. Ich teilte auch Essen, Kaffee, Tee und Wasser aus. Am Sonntagmorgen sangen wir gemeinsam fromme Lieder in der Halle.
Ich schlief auf dem Dachboden in einer Kammer mit drei anderen Mädchen. Wir hatten jede ein Bett und ein Nachtschränkchen. Eines der Mädchen hieß Ida und kam aus dem Süden der Niederlande. Immer wieder sagte sie: »Du bist Jüdin, ich zeige dich an.« Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte. Wenn sie ihre Drohung aussprach, brach mir der kalte Schweiß aus. Doch sie setzte sie nicht in die Tat um.
Die Leiterin war eine kleine Frau in brauner Krankenschwesteruniform mit zugehöriger Haube. Sie war sehr streng, zu mir war sie besonders
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