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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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eigentlich mit dem Feind unter einer Decke steckten, waren gut zu mir. Ich blieb dort drei, vier Tage, bis ich zu Tante Greta zurückkonnte.
    Als die antijüdischen Verordnungen Ende 1941 immer strenger wurden, hielten mein Onkel und meine Tante es für sicherer, mich anderswo unterzubringen. »Du musst weg«, sagte Tante Greta eines Tages.
    »Gehe ich zu meiner Mami?«
    »Nein«, sagte meine Tante, »wo du jetzt hinkommst, ist es sicherer für dich. Und du kommst zu Leuten, bei denen es dir gut gehen wird.«
    Eine Frau vom Widerstand brachte mich mit dem Zug nach Zeist. Ich hatte Tante Greta versprechen müssen niemandem meinen richtigen Namen zu sagen. »Ab jetzt heißt du Henkie Mulder«, hatte sie gesagt. Das habe ich mir gut gemerkt.
    Vom Bahnhof zu meinem neuen Zuhause in Zeist war es ein gutes Stück zu Fuß. Schon als wir reinkamen, fiel mir auf, dass Tante Da, meine neue Untertauchmutter, alt war, viel älter, als ich sie mir vorgestellt hatte. Offensichtlich hatte ich geglaubt, zu einer ähnlichen Familie zu kommen wie in Haarlem. Aber Tante Da war nicht wie Tante Greta. Und ihre Töchter, Ali und Beppie, waren nicht wie meine Cousinen.
    Anderthalb Jahre war ich in Zeist, bis Ende 1943. Es war eine sehr schlimme Zeit. Ich schlief schlecht, ich aß schlecht und ich wurde viel geschlagen. Wenn ich nicht schlafen konnte, schlugen sie mich. Wenn ich nicht essen wollte, schlugen sie mich. Wenn ich sagte: »Ich will zu meiner Mami«, schlugen sie mich.
    Es ging schon frühmorgens los. Jeden Tag war ich um sechs Uhr wach. Beim Frühstück wollte ich nicht essen. Das konnten sie nicht akzeptieren; sie strengten sich so an, Nahrung für mich zu kaufen, und ich verweigerte das Essen. Je fester sie schlugen, desto trotziger wurde ich. Es bedingte sich gegenseitig: Ich war gemein zu ihnen, und sie waren gemein zu mir.
    Sie schlugen mir mit den Händen ins Gesicht, aber auch oft mit Kleiderbügeln feste auf den Rücken. Während sie schlugen, schrie ich: »Ich will zu meiner Mami!«
    »Deine Mami ist nicht da«, riefen sie dann und schlugen wieder.
    »Wo ist meine Mami denn?«
    »Nicht da. Und sie kommt auch nicht.«
    »Ich will zu Tante Greta.«
    »Das geht nicht.«
    Und dann ging es wieder von vorne los: »Wo ist meine Mutter, wo ist meine Mami?« Und dann schlugen sie mich wieder. Ali war am allerschlimmsten. Beppie war ein wenig milder. »Lass ihn nur«, sagte sie ab und zu. »Er hat jetzt genug Prügel bekommen.«
    Was immer sie mir auch vorsetzten, ich aß es nicht. Sie wollten mich zum Essen zwingen, indem zwei Frauen meine Arme festhielten und die dritte mir die Nase zuhielt. Sobald ich nach Luft schnappte, stopften sie mir Essen in den Mund. Danach drückten sie meine Kiefer fest zusammen. Aber ich kaute nicht. Sobald sie losließen, spuckte ich alles wieder aus, woraufhin sie es wieder hineinstopften. Wenn ich doch etwas runterschluckte, übergab ich mich manchmal. Auch das Erbrochene haben sie mir oft wieder in den Mund gestopft.
    Eines Tages sagten sie: »Tja, wenn du nicht essen willst, dann isst du eben nicht.« Da habe ich fünf Tage nicht gegessen, bis sie es nicht mehr aushielten und mir wieder Essen vorsetzten. Ich hatte gewonnen.
    Jeden Abend weinte ich mich in den Schlaf. Ich schlief in einer winzigen Dachkammer, die eher einem Schrank ähnelte. Dort standen nur ein Bett und ein Stuhl.
    Tagsüber ging ich in die Vorschule. Das war gefährlich, zwischen all den blonden Kindern fiel ich auf. Aber mir gefiel es in der Schule, dort war ich wenigstens weg von den Frauen.
    Am 2. Juni 1943 wurde ich sechs Jahre alt. Ich durfte meinen Geburtstag feiern und acht Kinder einladen. Auf ihre Weise haben die drei Frauen versucht etwas aus meinem Geburtstag zu machen. Aber ich konnte mich nicht darüber freuen. Meine Eltern waren nicht da. Dort in Zeist hätte mich nur eines glücklich machen können: wenn mein Vater und meine Mutter plötzlich vor mir gestanden hätten.
    Auch nachdem ich sechs Jahre alt geworden war, blieb ich in der Vorschule. Irgendwann im Oktober 1943 wurde ich morgens aus der Klasse geholt. »Henkie Mulder soll sich beim Direktor melden.« Alles ging blitzschnell. Mein erster Gedanke war, dass ich nicht mehr zu den grässlichen Frauen zurück brauchte. Sie stopften mich in den Holzkasten eines Lastenrads vom Bäcker, das vor der Schule stand.
    Die Nachbarn von gegenüber hatten die SS bei uns hereingehen sehen, natürlich auf der Suche nach mir. Die ganze Nachbarschaft wusste, dass ich

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