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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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wollte zu mir gehen. »Nein, nein!«, rief meine Mutter. »Sie tun ihr nichts, es geht um dich.«
    Nach ungefähr fünf Minuten fing ich an zu schreien, ich war total verängstigt. Sie schlugen das obere Fenster der Toilettentür ein. Ich hielt die Hände vor die Augen. Das ist das Ende, dachte ich, als das Glas splitterte. Jetzt zerren sie mich raus, erschießen mich. Sie sahen mich dort stehen, in der Ecke der Toilette. Ich war fünfzehn, aber recht klein für mein Alter. Sie taten mir nichts, genau wie meine Mutter vorhergesagt hatte.
    Nachdem sie alles im Gang kaputt geschossen hatten, rannten sie eilig weg, und es wurde still.
    Der Überfall machte großen Eindruck. Wir dachten, sie würden meinen Vater wirklich ermorden – es waren Niederländer gewesen, keine Deutschen. Am nächsten Tag kam die Polizei – die niederländische Polizei –, aber sie schauten sich nur ein wenig um, hoben ab und zu eine Kugel auf. Sie konnten nichts mehr ausrichten. Es war vorbei, es war aus und vorbei. Ich fühlte mich machtlos, niemand tat etwas, um uns zu helfen.
    Ein paar Tage später gingen wir zu Familie Boissevain, Kunden von Hirsch, die ein Hotel in Beekbergen auf der Veluwe hatten, einem waldreichen Gebiet in der Provinz Gelderland. Wir verbrachten dort ein paar Wochen, bis wir dachten, alles hätte sich ein wenig beruhigt, und wir uns zurück nach Amsterdam trauten.
    Mein Vater ging wieder zur Arbeit. Es blieb monatelang recht ruhig, bis zu diesem Nachmittag, irgendwann 1941, als meine Eltern eine halbjüdische Freundin bei uns um die Ecke besuchten. Die Deutschen müssen beobachtet haben, wie meine Eltern in das Haus gingen. Nach den deutschen Rassengesetzen galten Halbjuden nicht als Juden. Und da es Juden verboten war, Nichtjuden zu besuchen, wurden meine Eltern verhaftet. Mein Vater wurde über das Gefängnis am Amstelveenseweg nach Westerbork geschickt. Meine Mutter wehrte sich heftig. »Ich komme nicht mit«, sagte sie. »Ich habe zwei Kinder zu Hause, ich komme nicht mit.« Man kann es kaum glauben, aber die Deutschen ließen sich beeindrucken. Jedenfalls ist sie nach Hause gekommen. Meine Mutter war eine schwierige Frau, die sich entsetzlich über Kleinigkeiten aufregen konnte, aber der Krieg brachte das Beste in ihr zum Vorschein: Sie musste für ihre Familie kämpfen und merkte, dass andere bei ihr Halt fanden.
    Im Laufe des Jahres 1942 fingen die großen Razzien an. Es wurde auch für uns lebensgefährlich. Man konnte jeden Moment aufgegriffen werden. Aber wir durften nicht untertauchen, weil wir Angst hatten, dass mein Vater dann zur Strafe »in den Osten« geschickt würde. Was genau das bedeutete, wussten wir damals natürlich noch nicht, aber dass es dort furchtbar sein würde, war klar.
    Dank unseres Nachbarn, Herrn Saarloos, konnten wir sehr lange in unserem Haus bleiben. Als Juden nicht mehr einkaufen durften, tat er es für uns. Da gegenüber von uns Leute wohnten, die Mitglied der NSB waren, warf er die Einkäufe hinter dem Haus über den Zaun.
    Saarloos, der bei der Polizei arbeitete, warnte uns eines Tages: »Heute Nacht kommen die Deutschen zu euch. Sie wollen euer Haus.« Wir hatten keine Wahl. Von einem Moment auf den anderen zogen wir zu Ang van Slooten, einer Mitarbeiterin von Hirsch, die uns sehr half. Wir konnten dort nur ein paar Wochen bleiben, Angs Mann fiel es schwer, drei Leuten Unterschlupf zu gewähren. Meine Mutter hatte Angst, dass man uns verraten würde, und beschloss, dass wir dort wegmussten.
    Da zogen wir zu unserer früheren Babysitterin. Wir hatten eine enge Beziehung zueinander. Ich war drei Monate alt, als sie zu uns kam. Aber auch ihr Mann wollte uns lieber los sein. Nach einer Woche gingen wir zu Ang zurück. Dort holte uns Herr Kuurman ab, ein früherer Lehrer meiner Grundschule, der sich dem Widerstand angeschlossen hatte. Er sollte uns mit dem Zug nach Doornspijk bringen.
    Auf dem Amsterdamer Bahnhof hatten wir furchtbare Angst, entdeckt zu werden. Darum trug mein Bruder seinen Koffer so auf der Schulter, dass der Schalterbeamte sein Gesicht nicht sehen konnte. Ui, dachte ich, das fällt erst recht auf, das sollte er nicht machen. Im Zug saß Herr Kuurman in einem anderen Abteil. Sollten wir geschnappt werden, würde er nicht dazugehören.
    Herrn Kuurman haben wir später nie wiedergesehen, aber Ang wohl. Sie wusste, wo wir waren, und brachte später auch meinen Vater zu unserer Untertauchadresse. Er ist mithilfe eines Bekannten von Ang aus Westerbork geflohen,

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