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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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    Das Gefühl des kleinen Jungen, der auf den Schultern seines Vaters saß, hatte ich für immer verloren. Ich wollte nicht bei ihm auf den Schoß, ich wollte ihm keinen Kuss geben. Ich hielt mich von ihm fern.
    Die Familie Langeraap aus Friesland ist ziemlich schnell nach dem Krieg fortgezogen, zu ihnen habe ich nie mehr Kontakt gehabt. Aber Tante Da, Ali und Beppie wohnten nach dem Krieg weiterhin in Zeist. Meine Eltern zwangen mich zu ihnen zu gehen und mich zu bedanken.
    Ich musste zu Tante Da, als ich zehn war, zwölf war, siebzehn war. Sie war sogar mit ihrer Tochter Beppie auf meiner Hochzeit. Ich habe sie besucht, als sie im Seniorenheim wohnte, bis zu ihrem Tod. »Sie hat dir das Leben gerettet«, sagte mein Vater immer, wenn er mich wieder mitschleppte. Das stimmt, sie hat mir das Leben gerettet. »Und verdorben«, fügte ich immer hinzu.

Hirsch

    Rose-Mary Kahn,
geboren in Amsterdam am 6. Juli 1925
    Während der ersten Kriegstage sprachen wir oft über eine Flucht. Anfangs wollte mein Vater das auf keinen Fall, er wollte sein Geschäft nicht im Stich lassen. »Das wird schon wieder«, sagte er.
    »Überhaupt nichts wird«, antwortete meine Mutter. »Wir müssen machen, dass wir hier wegkommen.« Es gelang ihr, meinen Vater zu überzeugen, denn ein paar Tage später gingen wir zum Hafen von IJmuiden. Wir hatten kaum etwas dabei.
    Aber wir kamen zu spät, alle Schiffe waren voll. Da gingen wir eben wieder zurück nach Hause, wo ich sofort in mein Zimmer rannte, um wegzuwischen, was ich an die Fenster geschrieben hatte, etwas wie: Weg mit den Deutschen.
    Das Modegeschäft meines Vaters hieß Hirsch und war in Amsterdam sehr bekannt. Hirsch auf dem Leidseplein. Vor dem Krieg gingen Leute aus dem ganzen Land zu Hirsch. Zweimal pro Jahr riefen die Verkäufer Stammkunden an: »Wir haben eine neue Kollektion, möchten Sie nicht mal vorbeischauen?« Es war ein sehr eleganter Laden.
    Ich verstand schon, dass mein Vater nicht wegwollte, das Geschäft war sehr wichtig für ihn. Flüchten fühlte sich an, als würde er es verraten, und auch die Familie, mit der er alles aufgebaut hatte.
    Recht schnell nach Kriegsausbruch, im Juni oder im Juli 1940, hielt der Bruder meines Vaters, der auch im Vorstand der Firma Hirsch saß, im Geschäft eine antideutsche Rede. Als er diese Rede bei uns zu Hause ankündigte, versuchte meine Mutter ihn davon abzuhalten: »Arnold, mach das nicht. So eine Rede hat keinen Zweck, das wird Folgen für uns haben.« Onkel Arnold tat es trotzdem, er hielt die Rede vor den vollzählig versammelten Mitarbeitern, von denen ein paar auf deutscher Seite standen.
    Am nächsten Tag wurde der gesamte Vorstand verhaftet: Onkel Arnold, mein Vater und Miteigentümer Robert Berg. Der Krieg hatte gerade erst angefangen, und da mein Vater und Robert Berg selbst nichts gesagt hatten, kamen sie nach drei Wochen wieder frei. Ein paar Monate später, als die Verordnungen gegen Juden noch viel strenger waren, wäre es sicherlich anders gelaufen.
    Meine Mutter ist damals zum Hauptbüro der deutschen Geheimpolizei gegangen, um zu versuchen, auch Onkel Arnold freizubekommen. Sie begab sich in die Höhle des Löwen, das war natürlich sehr gefährlich. Ich muss hinzufügen, dass meine Mutter eine sehr schöne Frau war, auch die Deutschen waren von ihr beeindruckt. Einer der Kerle fragte: »Sind Sie sicher, dass Sie Jüdin sind?« Meine Mutter antwortete: »Hundertprozentig sicher.« Da konnten sie wenig für sie tun, aber sie haben sie seltsamerweise nicht verhaftet, sondern einfach nach Hause gehen lassen. Onkel Arnold wurde ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht, wo er im Sommer »auf der Flucht erschossen« wurde. Das war eine oft benutzte Formulierung der Deutschen und bedeutete eigentlich nur, dass derjenige ermordet worden war.
    Ein paar Wochen später, noch im Sommer 1940, klingelte es um zehn Uhr abends. Ein Bruder meiner Mutter, der vorübergehend bei uns wohnte, wollte die Tür aufmachen. Er fragte, wer da sei.
    »Wir haben hier einen Brief für Herrn Kahn«, lautete die Antwort.
    »Werfen Sie ihn ruhig in den Briefkasten«, sagte mein Onkel.
    »Das geht nicht«, sagten sie, »er ist zu groß dafür.«
    Da öffnete mein Onkel die Tür. Sie kamen schießend herein. »Ein Überfall!«, schrie mein Onkel.
    Meine Mutter schloss sofort die Tür des Wohnzimmers ab. Ich saß auf der Toilette im Flur, hatte also alles gehört und traute mich nicht, mich zu rühren. Mein Vater, der wusste, wo ich war,

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