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Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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der Tierarzt. Er sagte, dem Hund gehe es gut, und fragte sie, ob sie allein zu Hause sei. Ja, sagte sie. Dann solle sie so schnell wie möglich das Haus verlassen und sich auf den Rasen oder auf den Bürgersteig stellen. Die Polizei sei gleich bei ihr.
    Keine Fragen. Sie solle nur so schnell wie möglich das Haus verlassen.
    Die Polizei rückte mit zwei Streifenwagen und vier Beamten an. Das Mädchen wartete verwirrt und besorgt im Vorgarten.
    Im ersten Stock entdeckten sie im Kleiderschrank ihres Vaters einen Mann, der sich ein Hemd um seinen blutenden Zeigefinger gewickelt hatte. Oder um das, was davon übrig war. Der Dobermann war ein guter Wachhund, fraß aber etwas zu hastig. Er hatte den Finger des Mannes am Gelenk abgebissen und versucht, ihn im Ganzen hinunterzuschlucken. Und da war er in seiner Kehle stecken geblieben.
    »Und das soll ich dir glauben?«
    »Natürlich.«
    Zwei Fingergeschichten in einer Woche, dachte ich.
    »Frag Casey. Das Mädchen war Babysitterin bei ihrem Bruder.«
    »Ihrem Bruder?«
    Ich muss wohl kurz zusammengezuckt sein.
    »Ja. Du … weißt doch von ihrem Bruder, oder?«
    »Ja und nein.«
    Ihr wurde klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Es wurde ihr immer peinlicher, und sie suchte nach einem Ausweg. »Frag Casey einfach nach Jean Drummond. Dann wirst du’s schon rausfinden.«
    »Kim, erzähl mir von ihrem Bruder.«
    Sie dachte darüber nach. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich etwas wissen lassen wollte. Sie mochte mich, und ich erinnerte mich, wie sie mich bei einer Cola vor Casey gewarnt hatte. Aber sie war Casey gegenüber loyal, sie hatte Verpflichtungen, und die vergisst man nicht so leicht.
    »Lieber … nicht. Das geht nur Casey was an.«
    »Und mich nicht? Nicht mal ein bisschen?«
    »Das hab ich nicht gesagt.«
    »Also? Soll ich sie selbst fragen, Kimberley?«
    Sie überlegte. »Ja, vielleicht. Keine Ahnung. Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Wie gut du sie kennst, schätze ich.«
    »Und wenn ich sie ganz gut kenne?«
    Sie seufzte. »Dann frag sie. Frag sie, um Himmels willen. Scheiße! Soll ich dir auch noch die Hand dabei halten?«
    Sie stand auf und watete ins Meer. Ich glaube, das war das erste Mal in diesem Sommer, dass sie sich ins Wasser wagte. Ich rief ihr hinterher.
    »Das wird dir nicht gefallen!«
    Sie drehte sich um und sah mich an.
    »Dir auch nicht«, sagte sie leise.

11
    Zwei Tage später hatte ich dann die Gelegenheit, Casey nach ihrem Bruder zu fragen.
    An diesen Abend kann ich mich noch ganz genau erinnern. Der Rasen vor ihrem Haus, der nach frisch gemähtem Gras roch, die warme Luft – sogar die genaue Temperatur –, der Duft ihres Haares, das erst zu mir wehte und dann im Fahrtwind flatterte, der durch die offenen Autofenster drang. Die Fahrt selbst, später die feuchte Erde unter mir, der Geruch der Erde, die lange, leere Stille, das Zirpen der Grillen, ihre grässlich flachen Atemzüge.
    Ich erinnere mich deshalb so genau, weil diese Nacht alles andere erst ins Rollen brachte. Der nächste Tag war ein Samstag, und der nächste Abend war ein Samstagabend. Seitdem sehe ich Samstage mit anderen Augen. Das klingt vielleicht lächerlich, aber ihr wart ja nicht dabei.
    Ihr müsst diese schwere Bürde nicht mit euch herumschleppen.
    Denn, wie gesagt – ihr wart nicht dabei.
    Ich hatte mir den Tag freigenommen, was meinem Chef gar nicht passte. Ich war mal wieder »krank«, und McGregor war nicht blöd. Man musste sich Casey ja nur ansehen, um zu wissen, was mich von der Arbeit abhielt.
    Ich war kurz davor, gefeuert zu werden. Es war mir egal.
    Wir fuhren nach Campobello, um uns Franklin D. Roosevelts Sommersitz anzusehen. Weil wir die einzigen Besucher waren, erhielten wir eine besonders ausführliche Führung, die Stevens Geduld auf eine harte Probe stellte.
    »Hier stehen mir eindeutig zu viele Korbstühle rum.«
    Da war ich ganz seiner Meinung. Ein schönes, großes Anwesen, aber nichts Besonderes. Die Frau, die uns herumführte, brachte weit mehr Enthusiasmus auf als wir alle zusammen, aber das war ja auch ihr Job. Außerdem wollten wir die nette alte Dame nicht beleidigen – bis auf Steven, der unruhig wurde und immer wieder auf eigene Faust losmarschierte. Wir anderen dagegen folgten ihr und nickten aufmerksam.
    Trotzdem waren wir erleichtert, als es endlich vorbei war.
    »Gott sei Dank«, sagte Steven, als wir wieder ins Auto stiegen. »Wie halten die Touristen das bloß aus?«
    »Sie glauben eben an den Wert der Bildung.«
    Steven

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