Versteckt
sie auf das Auto zuging. Ihre Schritte hingegen verrieten, dass sie wütend war. Normalerweise bewegte sie sich kontrolliert und geschmeidig, ließ selbstbewusst ihre Muskeln spielen. Jetzt hatte ihre Gangart etwas Abruptes, das ich so noch nicht gesehen hatte. Sie riss die Beifahrertür auf.
»Fahr los.«
Sie ließ sich in den Sitz fallen. Ihre Stimme war belegt und wütend.
»Was ist denn?«
»Fahr einfach los. Bitte.«
»Willst du noch ins Kino?«
»Ja. Keine Ahnung. Irgendwohin. Scheiße.«
»Ganz ruhig, Casey.«
Sie schlug die Tür so fest zu, dass sie auf der Stelle um fünf Jahre alterte. Meine Ohren vibrierten im Takt der klappernden Fensterscheibe. Ich ließ den Motor an.
»Nur die Ruhe.«
Sie drehte sich zu mir um, und es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Ihre wunderschönen blauen Augen glänzten feucht. Ich hatte sie noch nie weinen sehen. Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren, sie zu trösten.
»Bitte!«
Sie flehte mich an.
Casey flehte mich an. Das konnte ich kaum glauben.
Ich gehorchte und fuhr los.
Ich weiß nicht mehr, wohin.
Erst durch die Vororte, dann die Hauptstraßen rauf und runter und wieder aus der Stadt hinaus.
Sie wollte nicht darüber reden. Jedes Mal, wenn ich ein Gespräch anfangen wollte, warf sie mir einen so schmerzerfüllten Blick zu, dass ich mich sofort wieder auf die Straße konzentrierte. Ein langes Schweigen – mehr verlangte sie nicht von mir, mehr konnte ich ihr nicht geben. Ich spürte, wie sie leicht zitterte. Sie weinte. Was war in diesem eintönigen, stinkreichen und leblosen Haushalt nur vorgefallen, das sie in Tränen ausbrechen ließ? Eigentlich verblüffte mich am meisten, dass sie überhaupt weinte. Ihre herrische Art war wie weggeblasen, die harte Schale geknackt, und neben mir saß eine ganz gewöhnliche Frau. Obwohl mir der Befehls ton und ihre Härte durchaus gefielen, erkannte ich mit einem Mal, dass ich lange auf diesen Augenblick gewartet hatte – um zu sehen, was sich unter dieser Schale verbarg.
Die Gewissheit, sie allein durch meine Anwesenheit trösten zu können, verlieh mir ein gutes Gefühl. Nie habe ich sie stärker geliebt.
Es war ein denkwürdiger Augenblick.
Als wir in die Northfield Avenue einbogen, setzte sie sich aufrecht hin. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie sich die Tränen vom Gesicht wischte, eine einzige schnelle Bewegung der Fingerspitzen. Sie schniefte und räusperte sich. Dann sahen wir uns gleichzeitig an. Ich konnte ihr nur einen kurzen Blick zuwerfen, dann musste ich wieder auf die Straße achten, doch ich spürte, dass sie mich lange anstarrte und versuchte, mich einzuschätzen.
Sie fing mit sanfter Stimme an zu sprechen. Irgendetwas in ihr hatte sich verändert, und sie war wieder ganz die Alte und alles andere als sanft. Ich hatte einen kleinen Riss in ihrer Fassade beobachtet, mehr nicht. Ihre Stimme legte sich über mich wie ein feines und doch undurchdringliches Spinnennetz.
»Bring mich nach Hause.«
»Nach Hause?«
»Ja. Bitte.«
»Na gut.«
Es war nicht weit, und die restliche Fahrt über schwiegen wir. Ich bog in ihre Straße ein und bemerkte ein Schlagloch im Asphalt, das mir vorhin gar nicht aufgefallen war. Für diese noble Gegend ein ungewöhnlicher Anblick.
Ich hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite an. Der Motor brummte im Leerlauf – zu viel Standgas. Ich legte meinen Arm über ihren Sitz und drehte mich zu ihr, um sie zu fragen, ob sie mir nicht erzählen wolle, was passiert war, bevor sie wieder ins Haus ging. Weil ich es wissen musste. Nicht nur aus Neugier – sie tauchte mich in ein Wechselbad der Gefühle, und gerade hatte ich das Gefühl, erneut von ihrem Innersten abgeschnitten zu sein. Ich wollte wieder Zugang dazu. Sie öffnete die Beifahrertür.
»Warte hier.«
Sie schloss vorsichtig und leise die Tür.
Ich stellte den Motor ab und sah ihr hinterher.
Sie überquerte die Straße, ging über den Feldsteinpfad, der den Rasen des Vorgartens in zwei Hälften teilte, und betrat die Veranda. Zu beiden Seiten der Tür standen Büsche in einer Art Steingarten, der ungefähr die Breite der Veranda hatte. Mit wachsendem Abstand zum Eingang wurden die Büsche immer höher, und sie waren so sorgfältig gestutzt, dass ihre Symmetrie fast hässlich wirkte. Sie blieb auf der ersten Stufe der Veranda stehen und sah sich zu ihrer Linken auf dem Boden um. Offenbar suchte sie etwas.
Was hatte sie vor?
Sie machte ein paar Schritte nach links und suchte
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