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Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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verborgen lag.
    Glaubt man an das Monster unter dem Bett? An das Ungeheuer im Schrank?
    Ja und nein.
    Das Haus war schwarz – tiefschwarz –, und weil sich unmittelbar dahinter die Klippen befanden, kam es mir vor, als stünde es am Rande des Nichts. Als wäre dahinter das Ende.
    Das Haus am Ende der Welt.
    Schlimm genug, dass ich mich an die echte Geschichte erinnerte, an die Dinge, die hier tatsächlich geschehen waren. Die verhungerten oder angefressenen Hunde. Der Tiergestank, die von der Hitze aufgeblähten Kadaver. Die meterhohen Zeitungsstapel im Haus, obwohl die Bewohner gar nicht lesen konnten. Die verschmierten, dreckigen Wände.
    Und an die anderen Geschichten, an die Geschichten meiner Kindheit, über die ich gelacht hatte, mit denen ich mich immer und immer wieder selbst erschreckt hatte. Vampire und das Böse und die Toten. All das fiel mir wieder ein, wie eine plötzliche, kindliche Vision von Wahnsinn und Grausamkeit. Wir gingen an den letzten Bäumen vorbei, und der Himmel lichtete sich. Ich dachte an die Geschichten und fragte mich, was ich hier verloren hatte – wie ein Geier, der zu den verblichenen Knochen früherer Mahlzeiten zurückkehrt.
    Und dann dachte ich an Ben und Mary.
    Schwachsinnig bis zum Äußersten. Bis zur Grenze, hinter der das Böse lauert.
    Wir betraten die Lichtung, die früher eine Viehweide gewesen war. Mit einem Mal schienen sich die Geräusche der Nacht um uns herum zu verändern. Unsere Schritte wurden leiser, das Rauschen des Meers lauter. Wir standen im hohen Gras, und die Grillen zirpten uns einen rasselnden Willkommensgruß zu.
    »Wow«, sagte Kim.
    Wir blieben stehen und folgten ihrem Blick – zu den unzähligen Sternen, die im blauschwarzen Himmel hingen. Der Mond schien so hell, dass man die Berge und Täler darauf erkennen konnte.
    Ich habe wohl schon tausendmal einen solchen Nachthimmel gesehen, und er hat immer eine beruhigende Wirkung auf mich. So war es auch damals.
    »Los, weiter«, sagte ich nach einer Weile.
    Wie ihr wisst, habe ich die Angewohnheit, beim Gehen auf den Boden zu starren. Was ich auf dem Weg durch den Wald auch gemacht hatte – aber nicht hier.
    Jetzt galt meine Aufmerksamkeit einzig und allein dem Haus. Ich war nicht mehr ängstlich, sondern voll konzentriert. Fasziniert.
    Zunächst war das Haus nicht mehr als ein großer dunkler Schatten inmitten der Lichtung. Dahinter war nichts zu erkennen, aber ich wusste, dass nach einem kurzen Landstreifen die Klippen steil zum Meer hin abfielen. Ich glaubte sogar, mich an eine Terrasse und einen galerieartigen Balkon im ersten Stock an der Rückseite des Hauses zu erinnern.
    Als wir näher kamen, konnte man erste Details ausmachen. Die Veranda und die Vorderfassade waren mit graubraunen Holzbrettern verkleidet, ganz so wie zu Bens und Marys Zeiten. Die Läden vor den drei Fenstern im Obergeschoss waren geschlossen. Der Wind hatte einen Laden von einem der beiden Fenster im Erdgeschoss abgerissen. Dahinter klaffte statt einer Glasscheibe ein schwarzes Loch. Zur Linken stand ein Nebengebäude aus etwas jüngerem Holz – Pinie wahrscheinlich. Bens und Marys Außentoilette wollte ich mir gar nicht erst vorstellen, und es war nur zu verständlich, dass der alte Doktor sie abgerissen und ein neues Klohäuschen gebaut hatte. Hätte ich an seiner Stelle auch getan.
    Die Scheune war vor ein paar Jahren niedergebrannt. Ich wusste noch, wo sie gestanden hatte. An der Stelle wuchs das Gras jetzt etwas höher.
    Vier Stufen führten zur Vordertür. Die Holzbohlen waren alt und morsch und gaben bei jedem Schritt nach, genau wie der Boden der Veranda.
    Der Türsturz war primitiv zusammengezimmert und bestand wie die Tür selbst aus schwerem Eichenholz. Am Querbalken über dem Eingang war ein verblichenes blaues Band befestigt, an dem ein Fischkopf baumelte. Er starrte uns mit offenem Maul an. Das Fleisch war längst verrottet, und es blieben nur ausgeblichene Gräten und leere, hohle Augenhöhlen. Ein bizarrer Türklopfer.
    Steven schnippte mit dem Finger dagegen. »Das ist ja mal ein herzlicher Empfang, Case. War das deine Idee?«
    Der Kopf klapperte leise gegen das Eichenholz, dann war wieder alles ruhig. Casey schüttelte den Kopf.
    »Leider nicht. Wahrscheinlich Kinder.«
    »Kinder. Klar.«
    Wir standen einen Augenblick lang da und kamen uns ziemlich dämlich vor. Jetzt waren wir also hier. Kinder. Casey grinste mich an.
    »Wer traut sich?«
    Ich betätigte die rostige Klinke und drückte gegen die

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