Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Ich zahle heute noch meine Rentnerbeiträge. Ich bin ein kritischer Freund der Gewerkschaften, wohl aber ein Freund.
Viele Leser interessieren sich für Ihren Lebensstil, übrigens auch die ganz jungen. Kevin Tarantino zum Beispiel ist 17, wohnt in Waiblingen, macht eine Ausbildung zum Bürokaufmann und schreibt: »Ich habe viele Bücher von Ihnen gelesen, die meisten Interviews und eine große Auswahl an Reden. Ich weiß, wie Sie über den Krieg denken und über die meisten Probleme der Tagespolitik. Aber ich frage mich: Wie verbringen Sie Ihre Tage? Lesen Sie in jeder freien Minute, oder schauen Sie auch mal fern (ich vermute mal, eher weniger)?«
Die Vermutung, was das Fernsehen angeht, trifft zu. Es ist auch richtig, dass ich viel Zeit aufs Lesen verwende, aber ich verwende eben auch eine ganze Menge Zeit auf die Unterhaltung oder die Diskussion mit anderen. Und außerdem spiele ich immer noch Klavier, ohne wirklich hören zu können, was ich spiele.
Womit wir bei Ihrem Musikgeschmack wären: Stephan Liedtke, 25, Student aus Bonn, fragt: »Mögen Sie Bob Dylan?«
Kann ich nicht beurteilen. Meine Musik ist die klassische und die Barockmusik.
Ines Gehlert, 42, Pharmareferentin aus Hamburg, wundert sich über Ihren Wohnsitz: »Ich bin selbst in einem Reihenhaus aufgewachsen und habe mir immer gesagt: Wenn ich mal Geld habe, lebe ich anders. Sie wohnen seit Jahren in einer Reihenhaussiedlung im Hamburger Stadtteil Langenhorn – hat Sie das Kleinbürgerliche dort nie gestört?«
Niemals, denn ich bin selbst im Kleinbürgertum aufgewachsen.
Charlotte Bothe, 33, Stylistin aus Mailand, möchte wissen, ob Männer anders denken als Frauen.
Mit einigen wenigen Ausnahmen ist die Antwort: ja. Und man muss hinzufügen: Die Frauen haben meistens ein etwas größeres Herz als die Männer.
Zurück zur Politik: Die Künstlerin Esther Pschibul, 34, aus Augsburg fragt, ob Sie während Ihrer Regierungszeit gern eine Partei wie die Grünen zum Koalitionspartner gehabt hätten.
Die hat es ja zu meiner Zeit noch nicht gegeben, die Grünen. Grundsätzlich würde ich sagen: Die Grünen haben im Laufe der letzten 30 Jahre erhebliche Wandlungen durchlebt. Zum Teil stammten sie aus der 68er-Studentenrevolte, zum Teil standen sie ganz links und himmelten Mao Zedong und Pol Pot an, zum Teil waren sie aber auch Naturschützer. Und zum Naturschützer bin ich unter dem Einfluss meiner Frau auch geworden, und zwar schon im Alter von 15 Jahren! Mit dieser Art von Grünen hätte ich also sofort koalieren können, wenn es sie denn schon gegeben hätte.
Die nächste Frage kommt von Dubravko Miskic, 36, Sozialpädagoge aus Kamen: »Welches in der Vergangenheit liegende kriegerische Ereignis hätte die Durchbrechung des Souveränitätsprinzips gerechtfertigt?«
Die Durchbrechung des Souveränitätsprinzips bedeutet einen Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen die Satzung der Vereinten Nationen. Es handelt sich also um ein Verbrechen, jedenfalls auf den ersten Blick. Es hat in der jüngeren Vergangenheit Fälle gegeben, in denen ohne völkerrechtliche Rechtfertigung kriegerische Aktionen stattgefunden haben. Ich nenne etwa den Balkan oder den Irak. Die waren nicht gerechtfertigt. Man hätte dort nicht eingreifen dürfen.
Thema Integration: Henri Hagenow, 36, Diplomphysiker aus Berlin, fragt, ob die aktuelle Debatte eine Besinnung auf deutschen Nationalstolz sei: »Müssen wir beunruhigt sein?«
Einstweilen nein. Beunruhigt müssen wir über etwas anderes sein, nämlich darüber, dass wir Deutschen uns als nicht besonders fähig erwiesen haben, Menschen, die aus ganz anderen Kulturen zu uns gekommen sind, zu integrieren. Es ist nicht nur so, dass diese Menschen Schwierigkeiten haben, sich zu integrieren – auch wir haben Schwierigkeiten, sie zu integrieren. Da gibt es vieles nachzuholen.
Eine ZEIT -kritische Frage hat uns Ruth Prüfer, 62, Lehrerin aus Darmstadt, geschickt: »War Ihnen bewusst, welch idyllisches Bild von der DDR in der ZEIT in den achtziger Jahren gezeichnet wurde?«
Mir war bewusst, dass die ZEIT in den achtziger Jahren, wie übrigens auch Kohl, an der Entspannungspolitik festgehalten hat und daran interessiert war, nicht etwa durch die eigenen Beiträge im Blatt zur Spannung beizutragen. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich seit 1959/60 gewusst habe, dass die westdeutsche und die ostdeutsche Wirtschaft sich mit Blick auf ihre Leistungsfähigkeit rasch auseinanderentwickelten: 1959/60 lag das
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