Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Sehnsucht haben nach Besinnungsaufsätzen zu Themen wie »Quo vadis, Europa?« oder »Die Nato gestern, heute und morgen«?
Ob die Leute Analysen lesen wollen oder nicht, ist eine andere Frage. Manchmal müssen auch Dinge geschrieben werden, die zunächst kaum jemand lesen will. Irgendwann erreichen sie dann doch die politische Klasse – und die Medien.
17. Februar 2011
»Zuverlässig, urteilssicher, tatkräftig«
Stellenprofil eines Politikers
April 2011. Nach dem Rücktritt von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wird in Deutschland über die Glaubwürdigkeit von Politikern diskutiert.
Lieber Herr Schmidt, was macht Ihrer Erfahrung nach einen guten Politiker aus?
Es kommt sehr auf den Politikertypus an: Jemand, der einen Beruf ausübt und nebenbei ein politisches Mandat wahrnimmt, zum Beispiel im Kreistag von Pinneberg, der ist ebenso ein Politiker wie ein Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag. Aber an den Kreistagspolitiker würde ich geringere Anforderungen stellen als an den Landtagsabgeordneten. Und für einen Bundestagsabgeordneten, der keinen Beruf nebenher ausübt, gelten noch einmal höhere Anforderungen.
Was darf man von einem Bundestagsabgeordneten verlangen?
Zunächst einmal muss er fleißig sein und viel lernen. Wer zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wird, weiß zunächst von den Dingen, die er dort mitentscheiden muss, relativ wenig. Er sollte auch die Geschichte Deutschlands und seiner Nachbarländer studieren: Erster Weltkrieg, Weimar, Nazizeit, Zweiter Weltkrieg, Auschwitz, Europäische Union.
Sind unsere Parlamentarier denn fleißig?
Fleißig sind sie. Aber ihre Kenntnisse der Geschichte sind nicht ganz ausreichend.
Sollte ein guter Politiker Generalist oder Spezialist sein?
Ein Abgeordneter muss sich mindestens ein Politikfeld aussuchen, auf dem er sich selbst für urteilsfähig hält – zum Beispiel, weil er bestimmte berufliche Erfahrungen mitbringt. Und dann muss er seine Kenntnisse auf diesem Spezialgebiet mit viel Fleiß vertiefen. Es gibt jedoch hundert andere Felder, wo sein eigenes Urteil nicht ausreicht. Da muss er sich nach dem richten, was Freunde, Kollegen oder der Parteisprecher ihm empfehlen.
Entscheiden die Abgeordneten also meistens über Dinge, von denen sie gar nichts verstehen?
Diese Formulierung ist mir zu sehr zugespitzt, ich würde das ein bisschen anders ausdrücken. In vielen Fällen reicht die persönliche Urteilskraft des Einzelnen tatsächlich nicht aus. Es kann aber auch vorkommen, dass es keine wichtigeren Maßstäbe gibt als das eigene Gewissen. Als der Bundestag über die Verjährung für Mord in der Nazizeit entscheiden musste, hat er lange debattiert, beinahe zwei Jahrzehnte, bis er sich schließlich zur Aufhebung durchgerungen hat. Und jeder Abgeordnete wusste: Weder das Grundgesetz noch das Neue Testament gibt mir eine Richtlinie vor.
Welches Spezialgebiet haben Sie sich ausgesucht, als Sie 1953 in den Bundestag einzogen?
Ich habe mich zunächst auf die Verkehrspolitik konzentriert, denn ich war ja hier in Hamburg Leiter des Amts für Verkehr gewesen und habe zum Beispiel daran mitgewirkt, dass die Lufthansa neu begründet wurde. Im Bundestag habe ich mich um Luftverkehr, Eisenbahn, Kanalbau und Straßenverkehr gekümmert. Nach kurzer Zeit merkte ich aber, dass es ein anderes Feld gab, das viel wichtiger und viel stärker problembelastet war, nämlich die sogenannte Remilitarisierung, die Gründung der Bundeswehr. Deshalb habe ich mich von 1955 an ganz auf militärisch-politische Fragen konzentriert.
Welche besonderen Fähigkeiten muss ein Spitzenpolitiker mitbringen?
In jeder Demokratie wollen die Politiker gewählt oder wiedergewählt werden. Das heißt, sie müssen die Fähigkeit haben, die Wähler davon zu überzeugen, dass sie ehrliche Menschen sind, zuverlässig, urteilssicher, tatkräftig. All das versuchen die Kandidaten ihrem jeweiligen Publikum klarzumachen. Und mitunter erliegen sie dabei der ungeheuren Versuchung, dem Publikum nach dem Mund zu reden und das wegzulassen, was die Leute womöglich nicht hören wollen. Das ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung der Demokratie.
Ist die Gefallsucht, die Tendenz, sich anzubiedern, heute größer als früher?
Ich scheue mich, Ihnen eine klare Antwort zu geben, weil ich ja zur älteren Generation gehöre und deshalb sozusagen Partei bin. Natürlich hat sich die Medienlandschaft geändert und damit auch die Art der Selbstdarstellung von Politikern und
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