Verstohlene Kuesse
diesem Spiegelzimmer mit den Wänden voller Bücher hatte er Ignatius kennen gelernt.
Edison war achtzehn Jahre alt gewesen und auf der verzweifelten Suche nach einer, irgendeiner Anstellung. Er hatte Ignatius Lorrings Thesenpapiere über Vanzagara gelesen und hatte gewusst, dass der unerschrockene Forscher abermals zu der geheimnisvollen Insel zu reisen beabsichtigte.
Also hatte er sich mit einem Vorschlag an Lorring gewandt. Falls er ihn als Kammerdiener mit auf die Reise nähme, würde er für die Hälfte des normalen Lohns arbeiten. Ignatius hatte ihn sofort eingestellt, sie beide waren gemeinsam nach Vanzagara gesegelt, und nichts war je wieder gewesen wie zuvor.
»Wie fühlen Sie sich, mein Freund?«, fragte Edison nun in sanftem Ton.
»Ich habe gute und schlechte Tage. Heute Morgen habe ich mich gut genug gefühlt, um einen Spaziergang zu machen. Aber jetzt bin ich extrem erschöpft.«
»Ich habe nicht die Absicht, lange zu bleiben. Ich habe um fünf eine Verabredung mit meiner Verlobten zu einer Spazierfahrt durch den Park.«
»Ah, ja. Die Verlobte.« Ignatius' silbrige Brauen hüpften auf und ab, und in seinen blassen Augen blitzte ein Funke von Interesse auf. »Lady Ames ist hinter ihr her, und Sie haben die Kontrolle über sie. Brillant, Edison. Wirklich brillant. Sie ist ein schillernder Köder, mit dem Lady Ames abgelenkt werden kann, solange Sie mit Ihren Nachforschungen beschäftigt sind.«
Edison drehte das Glas in seinen Händen und blickte tief in die goldene Flüssigkeit. »Ich sehe Miss Greyson nicht als Köder an.«
»Unsinn. Sie ist nichts anderes.« Ignatius sah ihn fragend an. »Sagen Sie, hat sie Crane tatsächlich umgebracht ?«
»Sie sagt, sie hätte nichts damit zu tun.«
»Tja, natürlich sagt sie das.«
»Vielleicht hat sie ihn erschossen, vielleicht aber auch nicht. Miss Greyson ist einigermaßen unberechenbar.«
»Ich verstehe.«
»Eins ist klar«, fuhr Edison beinahe reglos fort. »Falls Miss Greyson Crane nicht erschossen hat, stellen sich uns einige interessante Fragen. Meinen Sie nicht auch?«
Ignatius sagte lange nichts. »Ja. Ich verstehe, was Sie meinen.«
Edison betrachtete die endlosen Bilder, die er von sich in den um den Kamin herum hängenden Spiegeln sah. »Ehe wir irgendwelche weiteren Schritte unternehmen, wäre es sicher äußerst interessant herauszufinden, wie Miranda in den Besitz des entzifferten Rezepts gekommen ist.«
»Das stimmt.« Ignatius wirkte nachdenklich. »Ich frage mich, wie eine Frau überhaupt etwas von der Existenz dieses Rezepts wissen konnte, ganz zu schweigen davon, dass sie es in die Hand bekommen haben soll. Schließlich ist Frauen der Zutritt zum Zirkel von Vanza strengstens untersagt.«
Edison dachte an den Schuss, der in den Wäldern von Ware Castle auf ihn abgefeuert worden war. »Sagen Sie, Ignatius, halten Sie es für möglich, dass noch jemand nach dem Buch der Geheimnisse sucht ?«
»Mir ist nichts Derartiges zu Ohren gekommen, aber es wäre durchaus vorstellbar.« Ignatius' dünne Finger umklammerten die Lehnen seines Ohrensessels. »Warum fragen Sie?«
»Ich bin noch nicht ganz sicher, aber in dieser ganzen Angelegenheit gibt es viele Dinge, für die es keine Erklärung gibt. Einige von ihnen würden einen Sinn ergeben, wenn wir wüssten, dass außer uns noch jemand nach dem Buch der Geheimnisse sucht.«
»Verdammt.« Ignatius' Gesicht war derart schmal und bleich, dass es aussah wie der Schädel eines Skeletts. »Falls noch jemand danach sucht, ist er vielleicht der Ansicht, Sie wären ihm im Weg. Seien Sie also bitte vorsichtig. Meinen besten Schüler würde ich wirklich nur sehr ungern verlieren, auch wenn er am Ende leider aus dem Zirkel ausgetreten ist.«
»Natürlich werde ich vorsichtig sein.« Edison stellte sein Glas entschieden ab. »Nun, da ich im Begriff stehe zu heiraten, muss ich schließlich an meine Zukunft denken, meinen Sie nicht auch?«
»Was zum Teufel wollen Sie damit sagen, Miss Greyson ist nicht da ?« Edison starrte Lady Mayfields Haushälterin böse an. »Sie wusste genau, dass sie heute Nachmittag mit mir zu einer Spazierfahrt verabredet war.«
Mrs. Wilton wischte sich die Hände an der gestärkten weißen Schürze ab. »Tut mir Leid, Sir, aber sie ist vor einiger Zeit losgegangen, um einen Spaziergang zu machen, und ist noch nicht zurück.«
»Wohin ist sie gegangen?«
»Das kann ich nicht sagen, Sir.«
Letty tauchte auf der Treppe auf. »Sind Sie es, Stokes? Ich dachte, ich
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