Verstohlene Kuesse
halbe Nacht hindurch in den Armen des faszinierendsten Mannes, dem sie je begegnet war, über das Parkett eines Ballsaals schweben würde, dachte sie. Ihr Kleid war ein blass grüner Traum. Ihr Haar war mit kleinen grünen Seidenblättern verziert. Sie kam sich mal wieder vor wie in einer Märchenwelt.
Edison hingegen war natürlich auf die ihm eigene betörend elegante Weise ganz er selbst. Sie fragte sich, wo er es gelernt hatte, gleichzeitig so prachtvoll männlich und so perfekt gekleidet auszusehen. Er tanzte mit kraftvoller, müheloser Grazie. Sein dunkles Haar schimmerte im Licht der Kronleuchter.
Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Schwester einen Brief zu schreiben, in dem sie ihr sämtliche Details des Abends haargenau berichten würde.
Es war seltsam und ein wenig beunruhigend, sich auf der Tanzfläche wiederzufinden statt vom Rand des Ballsaals zuzusehen. Und es war noch beunruhigender, dass sie dabei in Edisons Armen lag. Das Ganze wäre allerdings noch wesentlich angenehmer, ja vielleicht sogar erregender gewesen, wäre ihr Arbeitgeber nicht bereits seit der nachmittäglichen Spazierfahrt derart übellaunig, dachte sie.
Während der rituellen Spazierfahrt hatte er eine höfliche Miene aufgesetzt, doch sie wusste, er hatte es einzig möglicher Zuschauer wegen getan. Nach ein paar Versuchen, ein Gespräch in Gang zu setzen, hatte sie aufgegeben und ihn während der vierzig Minuten, die sie sich gemeinsam im Park zur Schau gestellt hatten, möglichst ignoriert.
Als er sich später am Abend auf Mirandas Ball zu ihr und Letty gesellt hatte, hatte sich seine Stimmung immer noch nicht aufgehellt.
Walzerklänge schwebten durch die Luft, und Edison drehte Emma mühelos im Kreis. Überdeutlich nahm sie seine starke, warme Hand auf ihrem Rücken wahr. Die teuren Kleider, in denen die anderen Damen über das Parkett schwebten, wirbelten wie zahllose schillernde Fische auf den Wogen eines unsichtbaren Meeres.
Wäre Edison besserer Laune gewesen, wäre es ein Abend gewesen wie in einem Märchen. Emma war am Ende ihrer Geduld.
»Sie sind kein Stück besser als meine bisherigen Arbeitgeberinnen«, zischte sie erbost.
»Wie bitte ?« Abrupt blieb er mit ihr in der Nähe der Terrassentüren stehen. »Wovon reden Sie ?«
»Unter normalen Umständen wäre das natürlich vollkommen egal. Niemand erwartet, dass Arbeitgeber ihren Angestellten gegenüber höflich sind.« Sie sah ihn mit einem stählernen Lächeln an. »Aber in diesem Fall fühle ich mich verpflichtet, Ihnen klar zu machen, dass Sie den Eindruck, den Sie zu erwecken wünschen, ganz sicher zunichte machen durch Ihr finsteres Gesicht.«
Sie erkannte das wütende Blitzen in seinen Augen und wusste, dass sie deutlich verstanden worden war.
»Gehen wir hinaus.« Er packte ihren Arm. »Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft.«
»Wie Sie wünschen, Mr. Stokes.«
»Sprechen Sie bitte nicht in diesem Ton mit mir.«
»In welchem Ton, Sir?«
»In dem Ton, der klingt, als sprächen Sie mit einem starrsinnigen Volltrottel.«
»Ich versichere Ihnen, Sir, ich halte Sie keineswegs für einen Volltrottel, starrsinnig oder auch nicht«, murmelte sie, während er sie auf die Terrasse dirigierte. »Schwierig, launisch und hin und wieder unhöflich, aber auf keinen Fall sind Sie ein Volltrottel.«
Er bedachte sie mit einem rätselhaften Blick. »Dann bin ich also einfach ein weiterer schwieriger Arbeitgeber für Sie.«
»Genau.« Immer noch lächelte sie kühl. »Übrigens, haben Sie schon mein Empfehlungsschreiben aufgesetzt?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Sie haben mir versprochen, es sofort zu tun«, sagte sie in vorwurfsvollem Ton. »Falls Sie sich daran erinnern, hatten wir das abgemacht.«
Sein Griff um ihren Arm verstärkte sich. »Die Bedingungen unseres Abkommens sind mir durchaus noch erinnerlich.«
»Aua.«
»Tut mir leid.« Seine Kiefermuskeln waren angespannt.
Trotzdem lockerte er seinen Griff und blieb am Ende der Terrasse stehen. »Ich habe seit unserer Rückkehr in die Stadt sehr viel zu tun gehabt. Ich hatte bisher einfach noch keine Zeit, mich um das Empfehlungsschreiben zu kümmern.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch die Kopien meiner Schreiben borgen wollen? Das würde das Ganze viel einfacher machen für Sie.«
Er blickte in den nächtlich dunklen Garten hinaus. »Miss Greyson, falls Sie meine Unterschrift auf diesem verdammten Empfehlungsschreiben haben wollen, dann erlauben Sie mir bitte freundlicherweise, es auch selbst
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