Verstohlene Kuesse
wie sie selbst. »Ihre Geschichte ist wirklich äußerst originell, Mr. Stokes.«
Er setzte ein leichtes Lächeln auf. »Und Sie, Miss Greyson, sind in einer ziemlichen Notlage, nicht wahr ?«
Sie zögerte, doch schließlich nickte sie. »Ganz offensichtlich. Ich werde Ihnen gegenüber ehrlich sein. Ich kann mir einen Skandal, durch den ich meinen Posten als Lady Mayfields Gesellschafterin verlieren würde, einfach nicht leisten, Sir.«
»Meinen Sie, dass das wahrscheinlich ist ?« Edisons Stimme drückte leise Zweifel aus. »Bei allem Reichtum und bei all dem Ansehen, das Lady Mayfield in den besseren Kreisen genießt, kommt sie mir nicht besonders rigide oder engstirnig vor.«
»Trotzdem wage ich es nicht, ihre Empfindsamkeit auf eine derartige Probe zu stellen«, antwortete Emma ihm. »Lady Mayfield ist mir gegenüber stets sehr freundlich. Ich habe das Glück, dass sie sich gern etwas exzentrisch gibt. Sie toleriert meine kleinen Schwächen eher als meine vorherigen Arbeitgeberinnen, aber -«
»Kleine Schwächen?«
Emma räusperte sich. »In den letzten Monaten habe ich drei Anstellungen verloren, Sir. Wie Ihnen bereits bekannt ist, eine wegen des Zwischenfalls mit Chilton Crane, die anderen beiden jedoch, weil ich gelegentlich einfach ungefragt meine Meinung zu einer Sache äußere. Ich schaffe es einfach nicht, stets die mir gebotene Zurückhaltung an den Tag zu legen, Sir.«
»Ich verstehe.«
»Letty ist in einigen Dingen wirklich liberal -«
»Letty? Ach, Sie meinen Lady Mayfield.«
»Sie besteht darauf, dass ich sie bei ihrem Vornamen nenne. Wie gesagt, sie ist eine ziemlich exzentrische Person. Aber ich kann wohl kaum von ihr erwarten, dass sie mich weiter als Gesellschafterin behält, wenn jemand ernsthaft meine Tugendhaftigkeit in Zweifel zieht. Dadurch würde sie sich selbst der allgemeinen Lächerlichkeit preisgeben.«
»Ich verstehe.« Edison dachte kurz nach. »Tja, dann scheint es so, Miss Greyson, als hätten wir beide allen Grund, mit unseren persönlichen Angelegenheiten auch weiter vertraulich umzugehen.«
»Ja.« Sie atmete ein wenig auf. »Darf ich also davon ausgehen, dass Sie bereit sind, Schweigen zu bewahren über den Zwischenfall, in den ich in Ralston Manor verwickelt war, falls ich mich bereit erkläre, niemandem zu verraten, dass Sie nach Ware Castle gekommen sind, um in den Schlafzimmern der Gäste herumzuschleichen?«
»Genau. Was halten Sie von einem derartigen Gentleman's Agreement, Miss Greyson?«
Emma sah ihn lächelnd an. »Von einem derartigen Gentleman's und Lady's Agreement halte ich sehr viel.«
»Bitte verzeihen Sie. Ein Gentleman's und Lady's Agreement, natürlich.« Er nickte mit dem Kopf. »Sagen Sie, bedeutet Ihre Betonung der Gleichheit beider Geschlechter zufällig, dass Sie eine Anhängerin von Mary Wollstonecraft und Frauen ihrer Sorte sind?«
»Ich habe Wollstonecrafts Geltendmachung der Rechte von Frauen gelesen, ja.« Emma reckte das Kinn. »Meiner Meinung nach war das Buch von einem großen Maß an Vernunft und gesundem Menschenverstand geprägt.«
»Wenn Sie dieser Meinung sind, werde ich mich nicht mit Ihnen darüber streiten«, sagte er in nachsichtigem Ton.
»Ich bin sicher, dass jede Frau, die sich allein durchs Leben schlagen muss, innerhalb kürzester Zeit Wollstonecrafts Überzeugung, dass die Bildung und die Rechte der Frauen unerlässliche Bestandteile eines menschenwürdigen Daseins sind, nicht nur schätzen, sondern teilen wird.«
»Ist das die Situation, in der Sie sich befinden, Miss Greyson? Müssen Sie sich ganz allein durchs Leben schlagen?«, fragte Edison voll Mitgefühl.
Sie merkte, dass die Unterhaltung plötzlich bemerkenswert intim geworden war. Aber, wie er bereits gesagt hatte, hatten sie schließlich zuvor in Lady Ames' Schrank eine noch viel größere Intimität geteilt. Emma hoffte inständig, dass sie nicht weiter jedesmal erröten würde, sobald sie sich an die Nähe seines allzu warmen, allzu festen Leibes erinnerte. »Nicht ganz. Glücklicherweise habe ich noch eine jüngere Schwester, Daphne, die Mrs. Osgoods Schule für junge Damen in Devon besucht.«
»Ich verstehe.«
»Unglücklicherweise müssen Ende des Monats die Gebühren für das nächste Vierteljahr bezahlt werden. Ich darf diesen Posten also einfach nicht verlieren. «
Er setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Sagen Sie, Miss Greyson, sind Sie ansonsten vollkommen mittellos ?«
»Augenblicklich ja.« Sie kniff die Augen zusammen. »Aber ich bin
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