Verstohlene Kuesse
Emma aufatmen. »Ich denke«, sagte er, »nachdem wir eine derart intime Erfahrung geteilt haben, sollten wir unsere Bekanntschaft ein wenig vertiefen, Miss Greyson. Ich schlage also vor, wir suchen uns einen etwas gemütlicheren Ort, an dem wir uns ungestört miteinander unterhalten können.«
»Verdammt«, entfuhr es Emma.
»Ganz meine Meinung«, pflichtete er ihr unbekümmert bei.
3. Kapitel
»Bastard. Ekelhafter, schleimiger, widerlicher kleiner Bastard.« Immer noch kochend stapfte Emma wenige Minuten später in den dunklen Garten hinaus.
»Man hat mich bereits des Öfteren mit einigem Recht einen Bastard genannt«, sagte Edison in ruhigem Ton. »Aber nur wenige haben mir das einfach mitten ins Gesicht gesagt.«
Abrupt blieb Emma neben einem überwucherten Zierstrauch stehen. »Ich habe damit zu keiner Zeit -«
»Und niemand«, fuhr er mit neutraler Stimme fort, »niemand hat je gesagt, ich wäre klein .«
Er hatte Recht. Nichts an ihm war klein, musste sich Emma eingestehen. Und neben seiner Größe verfügte Stokes über eine vollkommen natürliche, maskuline Eleganz, um die ihn sicher viele Mitglieder der sogenannten besseren Gesellschaft glühend beneideten, wenn sie ihm unweigerlich mit Blicken folgten wie einer großen Katze auf der Jagd.
Zerknirscht antwortete sie: »Ich habe über Chilton Crane gesprochen, Sir, nicht über Sie.«
»Das freut mich zu hören.«
»Nachdem ich von Cranes Anwesenheit auf der Burg erfahren hatte, habe ich mich an Mrs. Gatten, die Hausdame, gewandt«, erklärte Emma ihm. »Ich habe sie davor gewarnt, eins der jungen Mädchen allein auf sein Zimmer zu schicken, egal, unter welchem Vorwand er nach ihnen ruft. Außerdem habe ich ihr gesagt, dass sie dafür sorgen soll, dass die weiblichen Bediensteten so oft wie möglich paarweise arbeiten.«
»Ich teile Ihre Einschätzung von Chilton Crane durchaus.
Angesichts Ihrer Reaktion auf ihn nehme ich an, Sie waren die unglückliche Gesellschafterin, die er in Ralston Manor in der Wäschekammer überfallen hat ?«
Es bestand keine Notwendigkeit, dass sie auf diese Frage eine Antwort gab. Dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, wusste er auch so.
Emma trat etwas tiefer in den dicht bewachsenen Garten und spürte mehr als dass sie hörte, dass Edison ihr auf den Fersen blieb.
Die Gärten von Ware Castle wirkten tagsüber bereits nicht gerade gepflegt. Nachts aber kamen sie mit den massiven Hecken, den ungestutzten Büschen und den wuchernden Ranken einem bedrohlich wilden Dschungel gleich. Einzige Lichtquelle war der Mond. Sein Schimmer ergoss sich über die Landschaft und tauchte alles in erschreckende Schatten aus Silber und Dunkelheit. In dem geisterhaften Licht sah Edisons Gesicht wie eine mit funkelnden Augen bestückte grimmige Maske aus.
Oh je, dachte Emma. Jetzt wusste er über sie Bescheid. Über das, was ihr in Ralston Manor widerfahren war, darüber, dass sie bei einem vorgeblichen Techtelmechtel überrascht, dass sie unehrenhaft entlassen worden war. Wenn sie noch etwas retten wollte, musste sie eilig etwas tun. Sie konnte es sich nicht leisten, ihren momentanen Posten zu verlieren, solange sie nicht wusste, wie sie das finanzielle Desaster überwinden könnte, das über sie und ihre Schwester über Nacht hereingebrochen war.
Es war einfach zu viel. Am liebsten hätte Emma laut geschrien. Stattdessen zwang sie sich, logisch darüber nachzudenken, wie die Situation jetzt noch zu retten war. Es machte keinen Sinn, eine Erklärung zu geben für das, was Edison gehört hatte. Ging es um die Ehre einer Frau, nahmen die Menschen stets das Schlimmste an.
Selbst wenn sie den Vorfall in Ralston Manor in einem günstigeren Licht erscheinen lassen könnte, wäre da immer noch die Tatsache, dass er Zeuge geworden war, wie sie sich eilig in Mirandas Schrank versteckt hatte.
Nur gut, dass sie sich nicht allein in das Versteck geflüchtet hatte, dachte sie. Bei diesem Gedanken empfand sie ehrliche Genugtuung. Zweifellos würde es Edison ebenso schwer fallen wie ihr zu erklären, was er in dem Schrank gemacht hatte.
»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Zurückhaltung, Miss Greyson«, stellte Edison ohne jede Spur von Häme fest.
Sie blickte über die Schulter zurück und runzelte die Stirn. Sie wusste, dass sie vollkommen zerknautscht aus dem Schrank gekommen war. Ihre Haube saß schief auf ihrem Kopf, einige Strähnen ihrer Haare hatten sich gelöst und fielen wirr um ihr Gesicht, und ihr Kleid war von dem engen
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