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Versuch über den stillen Ort (AT)

Versuch über den stillen Ort (AT)

Titel: Versuch über den stillen Ort (AT) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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waren, die davor herumstrichen oder reglos, höchstens dann und wann mit einem Blick überdie Schulter, nicht dem des Ben in »Schau heimwärts, Engel!« (aber wer weiß?), Minuten um Minuten und vielleicht sogar stundenlang, vor den Pissoirs verharrten.
    Es war das die Toilette im Trakt der für mich zuständigen Fakultät. Sogar zweimal wurde die mir während der vier Jahre dort zum Stillen Ort. Immer war das am Abend, wenn die Hörsäle und die Korridore schon leer waren. In meiner Einbildung unwillkommen in der Unterkunft am Stadtrand, einer Kammer in einer kleinen Villa, aber auch von mir aus unlustig, schon am Vorabend dort in der Enge und Kälte herumzuhocken, hatte ich mir angewöhnt, wenn ich die Mensa und das Straßenbahnfahren kreuz und quer, zu sämtlichen Endstationen und zurück, satt hatte und auch kein Film recht war, im Universitätsgebäude zu bleiben so lang wie nur möglich. Ob ich in den zum Teil noch offenen Hörsälen studierte oder las: Ich weiß es nicht mehr – mirkommt jetzt vor, ich bin in dem Halbdunkel dort einfach nur dagesessen. Was ich dagegen weiß: Von Fall zu Fall hab ich die helle und großräumige Toilettenanlage, welche mir als jedesmal warm und freundlich im Gedächtnis ist, betreten, um mir an einem der Waschbecken dort, im Abstand zu den Kabinen, die Haare zu waschen. (Das Badezimmer in der Villa war oft abgesperrt, und überhaupt …) Ich beeilte mich jeweils, denn es konnte ja doch noch jemand, ein anderer Student, in der Etage sein und mich mitsamt meinen triefnassen Haaren im Toilettenraum überraschen, unangenehm mehr noch für ihn.
    Eines Abends bin ich tatsächlich dort bei meiner Haarwäsche überrascht worden, nicht von einem Studenten, sondern von einem der Professoren. Dieser war im Jahr zuvor einer meiner öffentlichen Prüfer gewesen, und ich hatte ihm dabei ein-, zweimal, meines Lernstoffs gewiß undauch davon durchdrungen, widersprochen (wobei ich jetzt noch das Volksgemurmel des Auditoriums hinter mir, über derartige Frechheiten einem Oberen gegenüber, im Ohr habe). Der Professor hatte sich kaum etwas anmerken lassen, war nur auf Distanz gegangen, schon vorher, während des Jahrs im Hörsaal, kühl, und obwohl unten stehend im Amphitheater, wie von oben herab, jetzt im Weiterprüfen aber die Kühle und Autorität in Person, und hatte in der Folgezeit, trotz der Fast-Innigkeit und Inständigkeit, mit der wir beide da aneinandergeraten waren, womöglich noch hoheitlicher über mich hinweggeschaut. Seitdem sah ich ihn als einen Feind und fühlte mich, gerade als eigens Unbeachteter, von meinem Lehrmeister verfolgt.
    Dieser, als er an dem Abend damals, wahrscheinlich aus seinem Arbeits- und Büroraum gegenüber gekommen, die Toilette betrat, tat zunächst, als gäbe es mich nicht,mich mitsamt dem Kopf im Waschbecken voll mit Wasser, von welchem auch der Boden rundherum naß war. Er wusch sich die Hände, nicht an dem Hahn unmittelbar neben dem meinen, aber auch nicht an dem entferntesten in der Reihe – im Abstand, dabei doch eher nah. Ziemlich lang wusch sich mein Professor die Hände, Finger um Finger, während ich mir, mit dem eigens in der Studiertasche mitgeführten Tuch, die Haare trocknete. Kein Wort fiel, kein Blick wurde gewechselt. Unversehens wusch er sich dann auch das Gesicht, zuerst nur so mit den Fingerspitzen, danach, unvermittelt, tief über das Waschbecken gebeugt, aus dem hohlen Handteller, beide Hände zusammengefügt, wieder und wieder Stirn und Wangen mit dem Wasser buchstäblich überschüttend, wie einer nach einem Marsch oder Ritt durch Prärien und Wüsten in einem Western. Darauf kämmte er sich, wieder lange, lange, die angefeuchteten Haare, samt der Brillantine an den, wiesonst, angegrauten Schläfen, und wechselte die Krawatte vor dem Toilettenspiegel: statt der dunklen Vorlesungs- und Kanzleikrawatte aus Seide eine hellgeblümte, aus Krepp, die er aus der Portemonnaie-Tasche seines Anzugs fingerte. Und schließlich schnitt er sich noch mit einer Miniaturschere die Härchen aus Ohren und Nasenlöchern, zupfte sich mit einer Pinzette die Brauen, die auffällig schwarzen, dicken. Und weg war er, zur Frau, welche ihn ins Tanzcafé »Thalia« bestellt hatte und gerade auf dem Parkplatz davor im Autospiegel sich die Nase puderte und sich den Lippenstift von den Zähnen leckte, weg ohne Blick oder Gruß.
    Auch späterhin blickte er, im Hörsaal oder sonstwo, weiter über mich hinweg, aber jetzt war zwischen uns beiden klar, das war ein

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