Versunkene Inseln
Ansprache hält man bei der Totenfeier für einen Unsterblichen? Sal hatte nie ein Wort gesagt. Was sagt man, um einem Buckligen das letzte Geleit zu geben? Ich versuchte, mich an einige der Dinge zu erinnern, die ich vor Jahren in der Bibliothek gelesen hatte. Doch mir fielen nur Bruchstücke ein, nichts Angemessenes, nichts Zusammenhängendes. Also sagte ich letztendlich gar nichts, strich einmal kurz über die Decke und schob Benito über den Rand des Tauchschachtes. Er ging sofort unter, und ein paar Luftblasen markierten den Weg, den er in die Tiefe nahm, das war alles.
Ich vernahm ein gurgelndes Ächzen hinter mir. Doch als ich mich umdrehte, sah ich nur Pauls Unterleib, der rasch durch die Steigröhre hinauf schwebte und meinem Blick wieder entschwand.
44
„Sie haben den Verstand verloren!“ rief Greville aus. Ich beachtete ihn nicht und fuhr damit fort, mich in den Naßanzug zu zwängen. Er trat nervös von einem Bein aufs andere und rang die Hände. Als ich die Manschetten schloß, traten Tobias und Jenny in die Tauchkammer.
„Tia, muß das unbedingt sein …?“ fragte Jenny. Ich ignorierte sie ebenfalls. Tobias sah mich schweigend an, schritt dann zu seinem Spind und begann damit, seine Ergkapsel-Ausrüstung zu montieren.
„Gütiger Himmel, Sie nicht auch noch“, brachte Greville hervor. „Wissen Sie eigentlich, auf was Sie sich da einlassen?“
Tobias’ volle Lippen kräuselten sich mürrisch und eigensinnig, und er gab keine Antwort. Greville war beinahe außer sich und tanzte mit hochrotem Gesicht hin und her.
„Ein Ergfeld ist bereits zusammengebrochen, und das könnte mit Ihrem ebenfalls passieren“, sagte er, und seine Stimme überschlug sich schrill. „Es ist ein großes Risiko, ein sehr großes Risiko!“
„Das nehme ich auf mich“, knurrte Tobias. „Wenn sie runtergehen kann, dann kann ich es auch.“
„Tobias …“ begann Jenny.
„Ich habe gesagt, ich gehe runter!“ rief er. „Also laß mich in Frieden, ja?“
Jenny schüttelte den Kopf und stürzte auf die Steigröhre zu. Ihre hochgezogenen Schultern drückten Zorn aus. Ich zuckte mit den Achseln und machte mich wieder an die Überprüfung des Luftaufbereiters.
„Tia, bitte … Tobias … ihr seid wahnsinnig …“
Nein, dachte ich. Tobias ist wahnsinnig. Keiner von uns sprach ein Wort, und jeder fuhr damit fort, seine eigene Ausrüstung zu kontrollieren. Greville warf wütend die Arme hoch, raufte sich die Haare und verließ den Raum. Ich fragte mich kurz, aus welchem Grund Tobias mitkommen wollte, dann schob ich die Frage wieder beiseite. Unter Wasser würde ich ihn abschütteln. Ich konnte weitaus schneller schwimmen als er.
Paul trat an meine Seite, als ich das Gummi an den Beinen glattstrich. Er blieb neben mir stehen und kaute auf der Unterlippe.
„Tia, du willst doch nicht wirklich tauchen, nicht wahr?“
Ich legte den Gürtel an, zog ihn richtig fest und schob die Gewichte hin und her, bis sie gleichmäßig an den Hüften verteilt waren.
„Greville meint, es sei gefährlich“, fügte er hinzu.
Der Kommunikator an der Taille, hier. Stunner. Messer. Die Sammeltasche für Artefakte. Chronometer. Tiefenmesser. Kompaß. Die Armbandcontroller. Kontrollterminal für die Servos. Eine Mini-Ergkapsel für den Notfall. Färbungsmittel. Bojen. Eine aufblasbare Überlebensjacke. Handschuhe.
„Es könnte etwas passieren.“
Schließlich wandte ich mich ihm zu, erinnerte mich an jene Nacht in meiner Kabine, an das gurgelnde Ächzen, das Benitos Hinabsinken ins Meer untermalt hatte, und ich kämpfte eine plötzliche Übelkeit nieder. Paul errötete, und sein Blick wanderte unstet über die verschiedenen Einrichtungsgegenstände der Tauchkammer. Die
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