Versunkene Inseln
den Maschinenraum, holte die orangefarbene Decke aus dem Minarett und kehrte wieder zurück.
Ich füllte einen Eimer mit Seifenwasser, reinigte Benitos Brust, säuberte ihn von dem Blut und den Fleischfetzen und wischte die klebrige Masse vom Boden. Ich hatte noch nie zuvor mit einer Leiche zu tun gehabt, und in meiner Benommenheit sah ich plötzlich Sal vor mir, die mit grober Sensibilität ein Grab schaufelte, unter der heißen australischen Sonne. Als ich Benito in die orangefarbene Decke gehüllt hatte, fiel mir die Sache nicht mehr ganz so schwer. Sorgfältig verknotete ich die Enden und holte dann einen Schweber aus dem Lager. Benito war kalt und schwer und eine sperrige Last in meinen Armen, als ich ihn auf den Schweber rollte. Ich legte ihn richtig hin und vergewisserte mich noch einmal, daß ihn die Decke ganz einhüllte und sich kein Knoten gelöst hatte. Ich zögerte kurz, und meine Gedanken rannen träge dahin, dann aktivierte ich den Schweber und brachte Benito in die Tauchkammer.
Ich stopfte all die archaischen Gewichte, die ich entbehren konnte, in einen Reservegürtel und befestigte ihn an Benitos Taille. Das Klacken von Blei auf Blei hallte leise von den Wänden der Tauchkammer wider, als ich den Gürtel plazierte und festzurrte, und die Luft roch noch immer nach Salz, Wasser und Gummi. Ich sah mich noch nach etwas anderem um, irgend etwas, das ich ihm noch mitgeben konnte, doch mir fiel nichts weiter ein.
„Kommt zur Beisetzung“, forderte ich die anderen über den Interkom am Fallschacht auf. Ich setzte mich neben Benito und legte nach einer Weile die Hand auf die Decke, über Benitos Schulter. Wasser klatschte gegen die Schacht wände.
Jemand sank durch den Zugangsschacht hinab. Es war Tobias, und ich war noch immer so benommen, daß mich das nicht einmal überraschte. Er zögerte, schritt dann langsam über den Obergang des Raumes, kam herunter und blieb ein paar Meter vor mir stehen. Er streckte den Arm aus.
In seiner Hand lag Benitos winzige Skulptur. Sie bebte und wankte im Takt zu Tobias’ Fingern, und ich wandte den Blick von der Skulptur ab und sah in sein Gesicht. Seine Wangen waren weiß, die Muskeln gespannt, und unter seinen Augen zeigten sich rote Ränder.
„Ich dachte …“ brachte er hervor und zögerte. Die Skulptur zitterte. „Ich dachte, er hätte dies vielleicht gerne dabei.“
Er straffte seine Gestalt, als ich an ihn herantrat, doch er ließ mich das Spielzeug aus seiner Hand nehmen. Schweigend starrten wir es beide an.
„Ist es immer so?“ flüsterte Tobias.
Ich konnte nicht antworten.
„Tia … wird es auch dir so ergehen?“
„Ich hoffe nicht“, gab ich leise zurück.
„Oder mir?“
Ich sah überrascht auf. Seine Stimme klang bitter.
„Nein, mir nicht“, fügte er hinzu und wich zurück. „Ich werde es nicht zulassen, und du kannst mir ein solches Schicksal nicht aufzwingen.“
Ich schüttelte den Kopf. Seine Augen glitzerten wie die des verrückten Fanatikers in Australien. „Tobias, bitte. Können wir nicht einen Waffenstillstand schließen? Können wir nicht wenigstens aufhören, Feinde zu sein?“
„Nein“, sagte er, und seine Stimme war kühl und schneidend. „Nein. Du bist eine Mißgeburt, Tia. Ich nicht.“ Er stürzte der Steigröhre entgegen, warf sich ohne zu zögern hinein und schwebte hinauf.
Ich nahm das kleine Spielzeug, schob es behutsam in die orangefarbene Decke hinein und legte es neben Benito. Mir war nicht klar, warum Tobias die Skulptur hierhergebracht hatte, aber mir wurde vage bewußt, daß er verrückt war. Es war nicht weiter wichtig. Im Augenblick war nur eines wirklich von Bedeutung: Benitos regloser Körper und das Fehlen von Worten, die ich ihm auf seine letzte Reise mitgeben konnte.
Welche
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