Versunkene Inseln
ab, und er entschuldigte sich rasch, verließ uns und durchwanderte den komplexen Irrgarten des Schiffes.
Eine neblige, verschwommene Reise. Das Land fiel hinter uns zurück und wurde verschluckt von den graugrünen Wogen. Jene ersten fünf Tage auf See waren wie ein Traum, zur einen Hälfte real, zur anderen unwirklich. Doch wie in jedem Traum gab es auch in diesem Fall kleine Spannungspunkte, Schatten von Beklemmungen, dünne, feine, aber sehr feste Stolperdrahte, die fest gespannt waren durch die ganze Struktur des Tagesablaufs und die schmerzten, wenn man gegen sie stieß. Jenny und Tobias blieben ganz unter sich und verließen den Raum, wenn ich ihn betrat. Paul sagte mir, bei ihm verhielten sie sich ebenso. Benito war noch verdrießlicher als sonst, und Greville tauchte uns in mehr als nur sein gewöhnliches Quantum an guter Laune. Die anderen waren sehr wortkarg und gingen mir oder Paul oder uns beiden aus dem Weg. Ich spürte eine Verstärkung der ablehnenden Reaktionen, auf die ich üblicherweise stieß. Ich ahnte, daß der Schock, den Jenny vor Tagen und viele Meilen entfernt an der Küste erlitten hatte, auch die anderen Passagiere plagte. Ich verdrängte diesen Gedanken in einen entlegenen Winkel meines Bewußtseins, wob ihn in einen Kokon aus Gleichgültigkeit, vergrub ihn unter unvermuteter Fröhlichkeit.
Es kümmerte mich nicht, daß ich, um mit Paul zusammen zu sein, einen Teil der Wirklichkeit ignorierte. Ich betäubte das Wissen, daß er ein Kind war, oberflächlich, ein Narr. Ein Unsterblicher und ein eitler und selbstgefälliger Unsterblicher noch dazu. Ja, all das. Aber er war auch der Mann, der mit mir in der Hängematte schaukelte oder mich in seinem Bett wiegte, der meine vernachlässigten Brüste mit seinen Küssen wieder zum Leben erweckte. Ich wußte nicht, warum er all dies tat, und ich sorgte mich nicht wegen dieser mangelnden Kenntnis. Ich wollte es gar nicht wissen. Es reichte, daß er mich in den Armen hielt und mit mir sprach und mich morgens mit zärtlichen Worten und einem plötzlichen, erregten Eindringen in mich weckte.
Und was die anderen anging: Ich ignorierte sie. Das Leben hatte mir nur sehr wenig Sonnenschein geboten. Und ich würde es nicht zulassen, daß ihr Ekel und ihre Abscheu diesen einen letzten Lichtblick verfinsterten. Wie Schatten glitten sie an den Grenzen meines neuen Universums entlang, und ich spürte keine Veranlassung, sie hineinzulassen.
23
Drei Tage nach meiner Ankunft in der Clarke-Station, als wir beide den Entschluß faßten, daß ich etwas länger bleiben sollte, zog ich in Greg Hartfelds Apartment ein. Ich nahm eine Arbeit als Strecken Wärterin bei der Transportgesellschaft an. Einmal in der Woche gingen Greg und ich hinaus, gefolgt von Servos und Fuhrschlitten, schritten die Strecke ab, flickten und schweißten und polierten den harten Plaststahl, bis überhaupt keine Naht mehr zu sehen war. Einmal in der Woche wanderten wir durch das Innere der Röhre. Einmal in der Woche unternahmen wir weite Inspektionsflüge mit dem Hüpf er, und einmal in der Woche machten wir uns an die Erledigung des Papierkrams. Alle zwei Wochen überwies die Gesellschaft den ansehnlichen Lohn auf unser Konto – die Gesellschaft zahlte gut, und wir erhielten darüber hinaus Gefahrenzulagen, wenn wir die Außenstrecke abschritten. Währenddessen sammelten sich meine Bezüge vom Behandlungszentrum still und leise auf einem separaten Konto in Bern an. Ich hatte Greg nichts davon erzählt, und ich würde es auch nicht tun. Ebensowenig wie über die Gründe dieser Zahlungen. Und dieses Geheimnis war das einzige Trennende in unserem gemeinsamen Leben.
Wir teilten unsere Arbeit, unser
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