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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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Kojwölfen hatte die Truppe schwer getroffen, und keiner von ihnen hatte es vorausgesehen. Allerdings hatte sie die Gottesarmee mit dem 999er letzte Woche auch in einen Hinterhalt gelockt, und das hatten sie nicht so persönlich genommen. Natürlich würden sie die nächsten Kreuzküsser, die ihnen begegneten, in Stücke hacken und in einen Kanal werfen, aber es war nicht persönlich gemeint.
    Von dem Mädchen war der Leutnant dagegen regelrecht besessen. Das Ganze war verrückt, und es machte Ocho ziemlich nervös. Er hasste es, mit einer betäubten Töle und einem wütenden Leutnant auf diesem langsamen Kahn zu sein, weil es hieß, dass der Leutnant nicht mehr klar dachte. Er hatte den Blick für das große Ganze verloren. Und das alles wegen dem Mädchen.
    Ocho starrte das Mädchen an. Er wusste nicht, ob er wütend auf sie sein sollte. Sie hatte ihm einreden wollen, dass er ihr was schuldete, weil sie ihn damals vor den Kojwölfen gerettet hatte. Aber das war natürlich Blödsinn. Schließlich hatte sie ihnen die Kojwölfe selbst auf den Hals gehetzt. Dass sie ihn gerettet hatte, war nur recht und billig gewesen.
    Nein… Er war wütend, weil sie den weiten Weg bis in die versunkenen Städte auf sich genommen hatte, um ihren Freund zu retten.
    Â» Mouse « hatte sie ihn genannt. Den ganzen weiten Weg war sie hergekommen. Und dafür hätte Ocho sie am liebsten auf der Stelle über den Haufen geschossen.
    Dich hat nie jemand versucht zu retten.
    Bei dem Gedanken sog Ocho scharf die Luft ein. Er hustete, und es klang beinahe wie ein Schluchzen.
    Reggie und Van sahen zu ihm herüber. Ocho begegnete ihren Blicken mit versteinerter Miene, aber tief in seinem Innern hatte er das Gefühl, jemand würde ihm die Eingeweide rausreißen.
    Ihn hatte nie jemand versucht zurückzuholen. Er war damals zusammen mit seinem Onkel verschleppt worden. Aber weder seine Mutter noch sein Vater, sein Bruder oder sonst jemand von den vielen Leuten, die er damals in seiner Heimatstadt an der Küste seine Freunde genannt hatte– nicht einer von ihnen hatte jemals nach ihm gesucht. Sie hatten ihn einfach abgeschrieben. Das war der Unterschied. Diese verkrüppelte Verstoßene aber hatte den weiten Weg auf sich genommen.
    Mit finsterem Blick betrachtete Ocho ihre halb bewusstlose Gestalt. Na, und? Jetzt siehst du, was einem Loyalität einbringt.
    Blöde Kuh. Hatte wohl nicht den Funken eines Überlebensinstinkts. Geschah ihr nur recht, was nun kam.

3 9
    Mahlia betrachtete benommen ihre Umgebung. Die Opiate stellten den Schmerz nicht völlig ab, ließen ihn jedoch… weniger wichtig erscheinen. Er war zwar lästig, aber in weite Ferne gerückt. Sie hatte nur noch vier Finger übrig.
    Vier von zehn ist gar nicht so schlecht.
    Sie musste daran denken, wie die Gottesarmee sie einst erwischt und ihr die rechte Hand abgehackt hatte. Und nun war es schon wieder so. Für die Soldaten war sie nicht einmal ein Mensch. Es war ein fast vertrautes Gefühl.
    Nur dass damals Mouse gekommen war, um sie zu retten. Damit konnte sie dieses Mal wohl nicht rechnen.
    Mahlia drehte den Kopf, um nach Mouse zu sehen. Jemand versetzte ihr einen Tritt. Leutnant Sayle blickte zu ihr herüber, und Mahlia erstarrte. Sie wollte dem Leutnant nicht zeigen, wie sehr sie sich fürchtete, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte schreckliche Angst. Schon wenn er sie nur ansah, fühlte Mahlia sich wie eine Maus im Angesicht eines Panthers. Sie wünschte sich, er würde den Blick abwenden. Sayles graue Augen bohrten sich in ihre und versprachen noch mehr Qualen. Schließlich sah er weg. Mahlia lag still da, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Der Schmerz von dem Finger, den sie verloren hatte, drang gedämpft zu ihr durch.
    Sie sah große Gebäude an dem Kahn vorbeiziehen, und dann schien sich der Himmel zu öffnen. Sie befanden sich auf einem riesigen, rechteckigen See, der sich weithin erstreckte. Die Arbeiter wateten am Rand des Sees entlang oder gingen über die Bohlenwege und Trümmerhaufen, um den Kahn weiterzuziehen. Sie hörte sie durch das Wasser platschen. Dann erhaschte sie einen Blick auf ein weißes Monument, das in der Mitte des Sees in den klaren blauen Himmel aufragte– ein Marmormonolith, von Rissen durchzogen und an manchen Stellen etwas vergilbt, aber immer noch aufrecht.
    Der Schrottkahn

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