Verteidigung
»Ich will keinen Prozess«, lallte sie. »Dieser schmierige Figg hat mich bequatscht. Eine Million Dollar hat er mir versprochen.« Mit großer Anstrengung gelang es ihr, das rechte Auge zu öffnen und David anzusehen. »Sie waren auch dabei, jetzt erinnere ich mich wieder. Ich sitze einfach hier und tue keinem was, und da kommt dieser Figg und verspricht mir einen Haufen Geld.«
Das Auge schloss sich wieder.
David gab nicht auf. »Sie waren doch heute Morgen im Krankenhaus. Was hat der Arzt gesagt? Welche Krankheit haben Sie?«
»Einfach alles. Sind vor allem die Nerven. Ich kann nicht zum Gericht. Das wäre mein Tod.«
Endlich dämmerte es David. Für ihre Klage – wenn man überhaupt noch davon reden konnte – gab es nichts Schädlicheres als einen Auftritt von Iris Klopeck vor den Geschworenen. Wenn ein Zeuge wegen Krankheit, Tod oder einer Gefängnisstrafe verhindert ist, gestattet es die Prozessordnung, die beeidete Aussage so zu bearbeiten, dass sie den Geschworenen vorgelegt werden kann. So schwach diese Aussage auch war, nichts konnte schlimmer sein als Iris live und höchstpersönlich.
»Wie heißt Ihr Arzt?«
»Welcher?«
»Weiß ich nicht, irgendeiner. Der, der Sie heute Morgen im Krankenhaus untersucht hat.«
»Da hat mich keiner untersucht. Ich hatte keine Lust mehr, in der Notaufnahme zu warten, deswegen hat Clint mich nach Hause gefahren.«
»Das ist das fünfte Mal in einem Monat«, erklärte Clint gereizt.
»Stimmt gar nicht«, fuhr sie ihn an.
»Das macht sie ständig«, sagte Clint. »Sie geht in die Küche, behauptet, sie ist müde und kriegt keine Luft, und schon hängt sie am Telefon und wählt den Notruf. Allmählich hab ich die Nase voll. Ich muss dann nämlich immer zum Krankenhaus fahren und sie abholen.«
»Jetzt reicht’s aber.« Iris hatte beide Augen geöffnet; ihr Blick war glasig, aber wütend. »Als das ganze Geld unterwegs war, war er viel netter. Ein richtig lieber Junge. Sehen Sie ihn sich jetzt bloß an, wie er seine arme kranke Mama schikaniert.«
»Du brauchst bloß den Blödsinn mit dem Notruf zu lassen«, gab Clint zurück.
»Sagen Sie morgen aus?«, fragte David energisch.
»Nein, das schaffe ich nicht. Ich kann nicht aus dem Haus gehen, sonst lassen mich meine Nerven im Stich.«
»Das bringt doch sowieso nichts«, meinte Clint. »Der Prozess ist aussichtslos. Der andere Anwalt, dieser Shaw, hat gesagt, Ihre Kanzlei hat die Sache so vermasselt, dass nichts mehr zu retten ist.«
David wollte sich schon gegen diese Unterstellungen verwahren, als ihm klar wurde, dass Clint recht hatte. Es war hoffnungslos. Dank Finley & Figg hatten die Klopecks nun ein Verfahren am Bundesgericht am Hals, das nicht die geringste Aussicht auf Erfolg hatte, und er und seine Partner mussten so tun, als würden sie einen Prozess führen, und auf ein baldiges Ende hoffen.
Er verabschiedete sich und brach überstürzt auf.
Clint folgte ihm nach draußen. »Hören Sie«, sagte er, während sie zur Straße gingen, »wenn Sie mich brauchen, komme ich zum Gericht und spreche für die Familie.«
Iris vor Gericht mochte ihrer Sache den Todesstoß versetzen, aber ein Gastauftritt von Clint war auch nicht besser.
»Ich denke darüber nach«, erwiderte David aus Höflichkeit. Die Geschworenen würden schon durch Iris’ Videoaussage mehr als genug von den Klopecks zu sehen bekommen.
»Besteht vielleicht doch die Möglichkeit, dass wir irgendwie an Geld kommen?«, fragte Clint.
»Wir tun unser Bestes. Die Möglichkeit besteht immer, aber versprechen kann ich nichts.«
»Wäre echt super.«
Um 16.30 Uhr waren die Geschworenen ausgewählt, hatten ihre Plätze eingenommen, waren vereidigt und schließlich nach Hause geschickt worden, mit der Anweisung am nächsten Morgen um 8.45 Uhr wiederzukommen. Von den zwölfen waren sieben Frauen, fünf Männer, acht Weiße, drei Schwarze und ein Latino, wobei die Geschworenenberater der Meinung waren, die ethnische Zugehörigkeit werde keine Rolle spielen. Eine Frau war relativ fettleibig, die anderen waren recht gut in Form. Sie waren zwischen fünfundzwanzig und einundsechzig Jahre alt, alle hatten die Highschool beendet, drei einen College-Abschluss.
Die Anwälte von Finley & Figg stiegen in Davids Wagen und fuhren zurück zur Kanzlei. Sie waren erschöpft, aber merkwürdig zufrieden. Sie hatten sich mit der Macht der amerikanischen Konzerne gemessen und dem Druck, zumindest bis jetzt, standgehalten. Natürlich hatte die Verhandlung noch
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