Verteidigung
kannten. Jeder Richter hat seine Eigenheiten, und das gilt besonders für Bundesrichter, die auf Lebenszeit ernannt und selten hinterfragt werden. Alle Anwälte hatten David geraten, sich während der Auswahl der Geschworenen bedeckt zu halten.
»Der Mann macht einen guten Job, da gibt es keinen Grund, einzugreifen«, sagten sie immer wieder.
Als noch fünfzig Namen auf der Liste standen, wählte Seawright zwölf davon nach dem Zufallsprinzip aus. Ein Gerichtsdiener führte sie zu ihren Plätzen, wo sie sich auf bequemen Stühlen niederließen. Die Anwälte machten sich eifrig Notizen. Die Geschworenenberater hingen auf der Stuhlkante und gafften die zwölf unverhohlen an.
Die große Frage war, wie der ideale Geschworene für diese Sache aussah. Aufseiten der Klägerin bevorzugten die Anwälte Dicke, die sich ebenso gehen ließen wie die Klopecks, am besten Leute mit überhöhten Cholesterinwerten und anderen von der Lebensweise beeinflussten Gesundheitsproblemen. Dagegen setzte die Beklagtenvertretung auf der anderen Seite des Gangs auf schlanke, jugendliche, durchtrainierte Menschen, die nicht viel Geduld und Mitgefühl für Fettleibige und Kranke aufbrachten. Die erste Gruppe war bunt gemischt, wobei nur wenige regelmäßig Sport zu treiben schienen. Richter Seawright knöpfte sich Nummer fünfunddreißig vor, weil die Frau zugegeben hatte, mehrere Artikel über das Medikament gelesen zu haben. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie keine vorgefasste Meinung hatte, die ihre Fairness beeinträchtigt hätte. Der Vater von Nummer neunundzwanzig war Arzt, und die Frau war in einem Haus aufgewachsen, in dem »Prozess« als Schimpfwort galt. Nummer sechzehn hatte einmal einen Dachdecker verklagt, was ermüdend lange debattiert wurde. Aber der Richter arbeitete sich unerbittlich durch seine endlose Liste von Fragen. Als er fertig war, forderte er die Klägerpartei auf, die potenziellen Geschworenen zu befragen, allerdings nur zu Punkten, die noch nicht behandelt worden waren.
Oscar ging zum Rednerpult, das in Richtung der Geschworenen gedreht worden war. Er begrüßte sie mit einem herzlichen Lächeln und wünschte ihnen einen guten Morgen. »Ich habe nur wenige Fragen«, sagte er unaufgeregt, als wäre das für ihn Routine.
Seit jenem ereignisreichen Tag, an dem David Zinc buchstäblich in die Kanzlei Finley & Figg gestolpert war, hatte ihm Wally immer wieder erklärt, Oscar sei hart im Nehmen. Vielleicht lag es an dessen schwerer Kindheit oder der Zeit als gnadenloser Cop auf den Straßen von Chicago, vielleicht war es die lange Laufbahn als Vertreter von heillos zerstrittenen Eheleuten oder Opfern von Arbeitsunfällen, vielleicht auch nur die irische Kämpfernatur – auf jeden Fall hatte Oscar Finley ein sehr dickes Fell. Valium mochte ebenfalls dazu beitragen, dass ihm Lampenfieber, Nervosität und nackte Angst nicht anzumerken waren, als er sich mit den zwölf potenziellen Geschworenen unterhielt. Vielmehr strahlte er ruhige Zuversicht aus. Er stellte ein paar harmlose Fragen, bekam ein paar schwache Antworten und setzte sich.
Den ersten kleinen Schritt vor Gericht hatte die Kanzlei ohne Zwischenfall absolviert, und David spürte, wie die Anspannung ein wenig nachließ. Er fand es tröstlich, die Nummer drei zu sein – nicht dass er großes Vertrauen in seine beiden Vordermänner gesetzt hätte, aber zumindest standen sie in der Schusslinie, und er konnte sich dahinter in den Gräben verschanzen. Er vermied jeden Blickkontakt mit den Leuten von Rogan Rothberg, wobei die nicht das geringste Interesse an ihm bekundeten. Dies war ihr Spiel, und sie bestimmten die Regeln. Sie wussten, dass sie gewinnen würden. David und seine Partner zogen das Ganze nur durch, weil das Verfahren, das keiner wollte, an ihnen hängen geblieben war, und hofften auf ein rasches Ende.
Nadine Karros begrüßte die potenziellen Geschworenen und stellte sich vor. Die Gruppe bestand aus fünf Männern und sieben Frauen. Die Männer – im Alter von dreiundzwanzig bis dreiundsechzig Jahren – musterten sie erfreut. David konzentrierte sich auf die Frauen. Helen war der Meinung, die Frauen würden auf Nadine Karros mit gemischten, komplexen Emotionen reagieren. Zunächst einmal mit Stolz, weil eine Frau nicht nur die Chefin war, sondern auch, wie sie bald merken würden, die beste Anwältin im Saal. Bei manchen würde der Stolz jedoch bald dem Neid weichen. Wie konnte eine Frau so schön, elegant und schlank sein und dabei noch
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