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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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intelligent und in einer von Männern beherrschten Welt erfolgreich?
    Den Gesichtern der Frauen nach zu urteilen war der erste Eindruck positiv. Die Männer waren sowieso begeistert.
    Ms. Karros fragte gründlicher nach. Sie sprach über Gerichtsverfahren, die Kultur des Rechtsstreits in der amerikanischen Gesellschaft und die routinemäßigen Meldungen über absurde Urteile. Hatte das einen der Geschworenen je gestört? Manche ja, und bei denen hakte sie nach. Da der Ehemann von Nummer acht ein gewerkschaftlich organisierter Elektriker war, war die Frau eigentlich eine sichere Bank für eine Klage, die einen großen Konzern aufs Korn nahm. Nadine Karros schien sich für sie besonders zu interessieren.
    Die Anwälte von Finley & Figg ließen Ms. Karros nicht aus den Augen. Ihr spektakuläres Äußeres würde für sie vermutlich einer der wenigen Lichtblicke in diesem Verfahren bleiben, und auch das mochte bald langweilig werden.
    Nach zwei Stunden ordnete Richter Seawright eine dreißigminütige Pause an, damit sich die Anwälte austauschen, ihre Berater konsultieren und mit der Auswahl beginnen konnten. Jede Seite konnte Geschworene ablehnen, wenn es berechtigte Gründe dafür gab. Erklärte sich ein Geschworener beispielsweise für voreingenommen, war irgendwann einmal von einer der Kanzleien vertreten worden oder erklärte, er hasse Varrick, galt das als guter Grund. Darüber hinaus konnte jede Seite drei Geschworene ohne Angabe von Gründen ablehnen.
    Nach dreißig Minuten baten beide Seiten um mehr Zeit, und Richter Seawright vertagte die Sitzung auf vierzehn Uhr.
    »Sie werden sicher nach Ihrer Mandantin sehen wollen, Mr. Figg«, sagte er. Wally bejahte das natürlich.
    Vor dem Gerichtssaal kamen Oscar und Wally rasch zu dem Schluss, dass David Iris suchen und herausfinden sollte, ob sie in der Lage und willens war, am Dienstagmorgen als Erste auszusagen. Von Rochelle, die den ganzen Vormittag über verschiedene Krankenhäuser abtelefoniert hatte, erfuhr David, dass Iris in die Notaufnahme des Christ Medical Center gebracht worden war. Als er gegen Mittag dort auftauchte, wurde ihm jedoch mitgeteilt, sie sei vor einer Stunde entlassen worden. Also raste er zu ihrem Haus in der Nähe des Midway Airport, wobei er und Rochelle alle zehn Minuten versuchten, sie dort telefonisch zu erreichen. Keine Antwort.
    Vor der Haustür hatte sich die monströse orangefarbene Katze zusammengerollt und öffnete schläfrig ein Auge, als sich David vorsichtig näherte. Er erinnerte sich an den Grill auf der Veranda und die mit Aluminiumfolie verhängten Fenster. Genau diesen Weg war er zehn Monate zuvor gegangen, am Tag nach seiner Flucht von Rogan Rothberg, in Wallys Kielwasser – damals hatte er sich gefragt, ob er den Verstand verloren hatte. Diese Frage drängte sich ihm auch jetzt auf, aber für eine Nabelschau blieb nicht viel Zeit. Er hämmerte an die Haustür und fragte sich, ob die Katze den Weg freigeben oder ihn attackieren würde.
    »Wer ist da?«, fragte eine Männerstimme.
    »David Zinc. Ihr Anwalt. Sind Sie das, Clint?«
    Er war es. Clint öffnete die Tür. »Was wollen Sie hier?«
    »Ich bin gekommen, weil Ihre Mutter nicht im Gericht ist. Wir sind gerade bei der Auswahl der Geschworenen, und der Bundesrichter ist ziemlich sauer, dass Iris heute Morgen nicht erschienen ist.«
    Clint winkte ihn herein. Iris lag wie ein gestrandeter Wal auf dem Sofa unter einer fleckigen, fadenscheinigen Decke. Der Couchtisch neben ihr quoll über: Klatschmagazine, ein leerer Pizzakarton, leere Diätlimoflaschen und drei Gläschen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten.
    »Wie geht es ihr?«, flüsterte David, obwohl er es sich ziemlich genau vorstellen konnte.
    Clint schüttelte gewichtig den Kopf. »Nicht gut«, als stünde das Ende unmittelbar bevor.
    David trat ein paar Schritte zurück und rammte einen dreckigen Sessel voll orangefarbener Katzenhaare. Er hatte keine Zeit zu verschwenden und konnte es nicht erwarten, wegzukommen. »Iris, können Sie mich hören?«, sagte er in voller Lautstärke.
    »Ja«, erwiderte sie, ohne die Augen zu öffnen.
    »Hören Sie, die Verhandlung hat angefangen, und der Richter muss unbedingt wissen, ob Sie morgen kommen. Wir brauchen Ihre Aussage, Sie müssen den Geschworenen von Percy erzählen. Das ist Ihre Aufgabe als Vertreterin seines Nachlasses und Sprecherin der Familie, verstehen Sie?«
    Sie grunzte etwas und atmete aus, was ein qualvolles Rasseln in der Tiefe ihrer Lungen auslöste.

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