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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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allem, was David wusste, mochte Wally wieder nicht ansprechbar und völlig betrunken in einem Motel in Green Bay liegen, aber das behielt er für sich.
    Dr. Igor Borsow wurde erneut aufgerufen und trat mit der Miene eines Aussätzigen, der gesteinigt werden soll, in den Zeugenstand.
    »Ihr Zeuge für das Kreuzverhör, Ms. Karros«, sagte Richter Seawright.
    Sie trat in einem weiteren Killeroutfit ans Rednerpult – einem lavendelfarbenen, eng anliegenden Strickkleid, das ihr wohlgeformtes, knackiges Hinterteil betonte und zu dem sie einen breiten braunen Ledergürtel trug, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie Größe vierunddreißig hatte. Sie begrüßte den Sachverständigen mit einem charmanten Lächeln und bat ihn, langsam zu sprechen, da sie ihn am Montag nur schlecht verstanden habe. Borsow antwortete mit einem unverständlichen Grummeln.
    Angesichts der zahllosen offenen Flanken ließ sich unmöglich vorhersagen, wo sie zuerst angreifen würde. David hatte keine Möglichkeit gehabt, Borsow vorzubereiten, und verspürte auch nicht die geringste Lust, eine Minute länger mit dem Mann zu verbringen.
    »Dr. Borsow, wann haben Sie zuletzt selbst einen Patienten behandelt?«
    Er musste einen Augenblick nachdenken. »Vor etwa zehn Jahren«, sagte er schließlich. Das führte zu einer Reihe von Fragen darüber, was er in den vergangenen zehn Jahren getan habe. Er habe keine Patienten behandelt, sei weder in der Lehre noch in der Forschung tätig gewesen und habe auch sonst keine übliche ärztliche Tätigkeit ausgeübt. Als sie praktisch alles ausgeschlossen hatte, hakte sie noch einmal nach.
    »Dr. Borsow, ist es nicht so, dass Sie in den vergangenen zehn Jahren praktisch ausschließlich für verschiedene Prozessanwälte tätig waren?«
    Borsow wand sich ein wenig. Da sei er sich nicht sicher.
    Nadine schon. Ihr lagen alle Fakten vor, weil Borsow sie selbst ein Jahr zuvor bei seiner beeideten Aussage in einer anderen Sache zu Protokoll gegeben hatte. Mit ihren Detailkenntnissen bewaffnet, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zur Schlachtbank. Jahr für Jahr ging sie die Prozesse, die Screenings, die Medikamente und die Anwälte durch, und als sie eine Stunde später mit ihm fertig war, hatte jeder im Sitzungssaal verstanden, dass Igor Borsow eine gefällige Marionette der Sammelklagenanwälte war.
    Die Anwaltsassistentin kritzelte etwas auf ihren Block und schob ihn David hin. »Wo hast du den denn her?«
    »Beeindruckend, was?«, schrieb er zurück. »Kostet auch nur fünfundsiebzigtausend.«
    »Wer zahlt das?«
    »Das willst du nicht wissen.«
    Offenkundig beeinträchtigte das Kreuzverhör Borsows Aussprache – oder er wollte gar nicht verstanden werden. Auf jeden Fall wurde er immer unverständlicher. Nadine ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, und David bezweifelte sehr, dass der starke Akzent sie überhaupt jemals irritiert hatte. Er hatte eine Meisterin vor sich und machte sich Notizen, nicht weil er hoffte, seinen Zeugen zu retten, sondern weil er von ihrer brillanten Kreuzverhörstrategie lernen wollte.
    Den Geschworenen war das alles egal. Sie waren ganz woanders, hatten sich geistig verabschiedet und warteten nur noch auf den nächsten Zeugen. Nadine Karros spürte das und kürzte ihre Liste der Angriffspunkte entsprechend. Um elf Uhr musste Richter Seawright zur Toilette und verkündete eine zwanzigminütige Pause.
    Als die Geschworenen den Sitzungssaal verlassen hatten, kam Borsow auf David zu. »Wie lange noch?«
    »Keine Ahnung.«
    Der Arzt schwitzte und atmete schwer, unter seinen Achseln zeichneten sich Schweißflecken ab.
    Davids Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Zumindest wurde der Mann dafür bezahlt.
    In der Pause trafen Nadine Karros und ihr Team die taktische Entscheidung, auf die erneute Besprechung von Percy Klopecks Echokardiogramm zu verzichten. Borsow, der blutend in den Seilen hing, sollte nicht die Chance bekommen, die Geschworenen mit seinem Fachjargon zu verwirren und so Boden gutzumachen. Nachdem Borsow nach der Pause widerwillig in den Zeugenstand zurückgekehrt war, fing sie an, seine Ausbildung infrage zu stellen, wobei sie immer wieder die Unterschiede zwischen dem Medizinstudium in den USA und dem in Russland hervorhob. Sie ging eine Reihe von Seminaren und Vorlesungen durch, die in den Vereinigten Staaten Standard, »dort drüben« aber unbekannt waren. Sie kannte die Antwort auf jede einzelne Frage, und Borsow war das mittlerweile klar geworden. Seine

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