Verteidigung
kürzlich mit einem hochrangigen Anwalt von Varrick in Houston geführt habe. Der Anwalt habe angedeutet, das Unternehmen wolle einen Vergleich erst dann in Erwägung ziehen, nachdem bei mehreren Geschworenenprozessen geklärt worden sei, ob das Medikament gesundheitsschädlich sei oder nicht. Aufgrund von Brills Analyse eines Gesprächs, von dem sonst niemand im Raum etwas wusste, war er der Meinung, dass er, Dudley Brill aus Lubbock, Texas, den ersten Prozess führen sollte, und zwar in seiner Heimatstadt, wo die Geschworenen ihn erfahrungsgemäß liebten und gewaltige Entschädigungssummen zusprechen würden, wenn er sie freundlich darum bat. Brill hatte offenbar schon ein paar Drinks intus, wie alle anderen mit Ausnahme von Wally, und seine eigennützige Analyse löste eine heftige Debatte aus. Binnen Kurzem stritten sich einige Anwälte wie die Kesselflicker und teilten großzügig Beleidigungen aus.
Schließlich gelang es Jerry Alisandros, die Gemüter zu beruhigen. »Ich hatte gehofft, dass wir uns das für morgen aufheben könnten«, sagte er diplomatisch. »Für heute sollten wir Schluss machen. Jetzt geht jeder in seine Ecke, und morgen treffen wir uns in alter Frische wieder.«
Am nächsten Morgen deutete einiges daraufhin, dass nicht alle Anwälte auf ihre Zimmer und ins Bett gegangen waren. Geschwollene Lider, gerötete Augen, Hände, die nach kaltem Wasser und Kaffee griffen – die Anzeichen waren deutlich. Viele schienen einen Kater zu haben, und einige waren gar nicht erst erschienen. Im Verlauf des Vormittags dämmerte es Wally langsam, dass gestern Abend noch eine Menge Geschäfte an der Bar gemacht worden waren. Man hatte Vereinbarungen getroffen, Allianzen geschmiedet und Dolchstöße verteilt. Wally fragte sich, wo er jetzt stand.
Zwei Gutachter sprachen über Krayoxx und die neuesten Studien. Jeder Anwalt bekam ein paar Minuten, um seine Klage vorzustellen – Anzahl der Mandanten, Anzahl der potenziellen Todesfälle im Vergleich zu Fällen ohne Todesfolge, Richter, gegnerischer Anwalt und bisherige Urteile des jeweiligen Gerichts. Wally improvisierte und sagte so wenig wie möglich.
Ein unglaublich langweiliger Sachverständiger nahm die Finanzen von Varrick Labs auseinander. Er hielt das Unternehmen für finanziell gesund genug, um erhebliche Verluste aus einem Vergleich im Krayoxx-Verfahren verkraften zu können. Das Wort »Vergleich« wurde sehr häufig verwendet und klang wie Musik in Wallys Ohren. Derselbe Gutachter wurde noch langweiliger, als er die diversen Versicherungen analysierte, die Varrick abgeschlossen hatte.
Nach zwei Stunden brauchte Wally eine Pause. Er schlich sich aus dem Saal und ging zur Toilette. Als er wiederkam, wartete Jerry Alisandros vor der Tür auf ihn. »Wann geht es zurück nach Chicago?«, fragte er.
»Morgen früh«, erwiderte Wally.
»Fliegen Sie Linie?«
Natürlich, dachte Wally. Schließlich habe ich ja keinen Privatjet, und wie die meisten armen Amerikaner muss ich mir ein Ticket für ein Flugzeug kaufen, das jemand anderem gehört. »Ja, sicher«, erwiderte er mit einem Lächeln.
»Ich fliege heute Nachmittag nach New York. Warum kommen Sie nicht mit? Meine Kanzlei hat gerade eine brandneue Gulfstream gekauft. Wir essen an Bord zu Mittag und setzen Sie dann in Chicago ab.«
Umsonst würde das natürlich nicht sein. Wally würde einen Deal machen müssen, doch er suchte sowieso nach einem. Er hatte einiges über steinreiche Prozessanwälte und deren Privatjets gelesen, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass er einen davon auch einmal von innen sehen würde. »Das ist sehr nett«, sagte er. »Gern.«
»Wir treffen uns dann um dreizehn Uhr in der Lobby, einverstanden?«
»Einverstanden.«
Im Privatflugbereich des McCarran International Airport standen etwa ein Dutzend Privatjets ordentlich aufgereiht auf der Rollbahn. Während Wally mit seinem neuen Freund Jerry an den Flugzeugen vorbeiging, fragte er sich, wie viele davon den anderen Sammelklagenanwälten gehörten. Als sie Jerrys Flugzeug erreicht hatten, ging er die Treppe hoch, holte tief Luft und betrat die Gulfstream. Eine auffallend hübsche Asiatin nahm ihm den Mantel ab und fragte, ob er einen Drink wolle. Nur Sodawasser, bitte.
Jerry Alisandros hatte eine kleine Entourage dabei – einen Anwalt, zwei Anwaltsassistenten und eine Assistentin, deren Funktion nicht ganz klar war. Sie steckten kurz im hinteren Teil der Kabine die Köpfe zusammen, während Wally es sich
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