Verteidigung
vertreten hatte. Nadine Karros war ihm nie begegnet; nur ein junger Anwalt auf ihrer Seite des Tisches wusste überhaupt, um wen es ging. Zinc hatte in der Abteilung Internationale Finanzen gearbeitet, die mit der Prozessabteilung rein gar nichts zu tun hatte.
Jetzt arbeitete David in einer Allgemeinkanzlei und war froh, dass er nichts mehr mit internationalen Finanzen zu tun hatte. Zurzeit musste er oft an die myanmarische Haushälterin und ihren durch Blei vergifteten Enkel denken. Er hatte einen Namen, eine Telefonnummer und eine Adresse, doch den Kontakt herzustellen hatte sich als schwierig erwiesen. Toni, Helens Freundin, hatte der Großmutter vorgeschlagen, zu einem Anwalt zu gehen, aber das hatte die arme Frau so verängstigt, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Sie war beunruhigt, verwirrt und zumindest vorläufig nicht zu sprechen. Ihr Enkel wurde weiterhin mit Maschinen am Leben gehalten.
David hatte darüber nachgedacht, ob er den Fall mit den beiden Partnern besprechen sollte, es sich dann aber anders überlegt. Wally würde vielleicht in das Krankenzimmer eindringen und jemanden zu Tode erschrecken. Und Oscar würde eventuell darauf bestehen, den Fall selbst zu übernehmen, und im Falle eines Vergleichs einen höheren Anteil am Honorar fordern. David hatte herausgefunden, dass die beiden Partner das Geld, das hereinkam, nicht gleichmäßig aufteilten und laut Rochelle heftig über die Honorare stritten. Der Anwalt, der den ersten Mandantenkontakt hergestellt hatte, bekam ein paar Prozentpunkte mehr, der Anwalt, der die Akte geführt hatte, ebenfalls, und so weiter. Rochelle zufolge gerieten sich Oscar und Wally fast bei jedem lukrativen Verkehrsunfall über die Aufteilung in die Haare.
David saß gerade an seinem Schreibtisch und setzte ein einfaches Testament für einen neuen Mandanten auf- er tippte es selbst, da Rochelle ihn schon vor Wochen darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass drei Anwälte entschieden zu viel für eine Sekretärin waren –, als ihn sein E-Mail-Programm mit einem Ping darüber informierte, dass eine Nachricht von der Geschäftsstelle des Bundesgerichts eingegangen war. Er öffnete die E-Mail und stellte fest, dass es die Klageerwiderung auf ihre erweiterte Klage war. Sein Blick ging sofort zum Anwaltsverzeichnis und fand den Namen Nadine Karros von Rogan Rothberg. Ihm wurde flau im Magen.
David hatte Karros nie kennengelernt, aber den Ruf, der ihr vorauseilte, kannte er natürlich. In der Anwaltskammer von Chicago war sie so etwas wie ein Star. Sie verhandelte und gewann die größten Fälle. Er dagegen hatte vor Gericht noch kein einziges Wort gesagt, das Eingang in die Akten gefunden hatte. Doch da standen ihre Namen, direkt nebeneinander, als wären sie einander ebenbürtig: Wallis T. Figg, B. Oscar Finley, David E. Zinc von der Kanzlei Finley & Figg, zusammen mit S. Jerry Alisandros von der Kanzlei Zell & Potter. Und für Varrick Labs Nadine L. Karros und R. Luther Hotchkin von der Kanzlei Rogan Rothberg. Auf dem Papier sah es so aus, als würde David dazugehören.
Langsam las er die Klageerwiderung durch. Die offenkundigen Tatsachen wurden zugegeben, jegliche Haftung abgelehnt. Alles in allem war es eine einfach gehaltene, fast freundliche Erwiderung auf eine Einhundert-Millionen-Dollar-Klage, aber nicht das, was sie erwartet hatten. Wally zufolge hätte die erste Erwiderung von Varrick ein Antrag auf Abweisung der Klage sein müssen, begleitet von einem Schriftsatz epischen Ausmaßes, der von hoch bezahlten Spitzenanwälten verfasst worden war. Der Antrag auf Abweisung hätte dann eine scharfe Auseinandersetzung ausgelöst, wäre letztendlich aber abgewiesen worden, da solchen Anträgen höchst selten stattgegeben wurde. Jedenfalls hatte Wally das gesagt.
Zusammen mit der Klageerwiderung hatte die Gegenseite einen Satz einfacher Fragebögen eingereicht, mit denen personenbezogene Daten zu den acht toten Mandanten und deren Familien angefordert wurden, und ersuchte um Namen und Aussagen der sachverständigen Zeugen. Soweit David wusste, mussten sie ihre Sachverständigen erst noch beauftragen, worum sich eigentlich Jerry Alisandros kümmern sollte. Außerdem wollte Ms. Karros so schnell wie möglich die acht Aussagen aufnehmen.
Laut der Geschäftsstelle waren ein Ausdruck der Klageerwiderung sowie weitere Einreichungen per Post unterwegs.
David hörte schwere Schritte auf der Treppe. Wally. Keuchend kam er herein. »Haben Sie schon gesehen, was die
Weitere Kostenlose Bücher