Verteidigung
unzählige Geschichten über die Anwälte aus der Prozessabteilung gehört. Die Jungs dort waren ein eigener Menschenschlag, wilde Burschen, die mit gigantischen Summen spielten, enorme Risiken eingingen und ein exzessives Leben führten. In jeder wichtigen Kanzlei war die Prozessabteilung der Ort, an dem die Anwälte mit dem größten Ego zu finden waren. Jedenfalls besagte das die moderne Legende. Als David von Zeit zu Zeit die ernsten Gesichter seiner Kontrahenten auf der anderen Seite des Tisches musterte, hatte er massive Zweifel daran. Nichts, was er in seiner Zeit bei Rogan Rothberg erlebt hatte, war so langweilig wie die Teilnahme an Zeugenaussagen. Und das jetzt war erst die dritte. Fast vermisste er die stumpfsinnige Plackerei, sich durch die Buchführung dubioser chinesischer Unternehmen zu graben.
Ms. Karros machte zwar eine Pause, aber ihr entging nichts. Diese erste Runde von Aussagen war lediglich ein kleines Scharmützel, eine Art Schönheitswettbewerb, bei dem sie und ihre Mandantin Gelegenheit hatten, die acht Kandidaten kennenzulernen und einen Sieger auszusuchen. Würde Iris Klopeck eine anstrengende, zwei Wochen dauernde Verhandlung durchstehen? Vermutlich nicht. Sie war während ihrer Aussage völlig zugedröhnt gewesen, und Nadine hatte bereits zwei Anwälte darauf angesetzt, sich ihre Krankenakte zu beschaffen. Andererseits gab es bestimmt einige Geschworene, die viel Verständnis für sie haben würden. Millie Marino würde eine beeindruckende Zeugin abgeben, doch bei ihrem Mann Chester gab es vielleicht die meisten Hinweise auf eine Herzkrankheit als Todesursache.
Nadine und ihr Team würden die Aufnahme der Aussage zu Ende bringen, sich die Videos immer wieder ansehen und nach und nach die besseren Zeugen aussortieren. Sie und ihre Gutachter würden damit weitermachen, die Krankenakten der acht »Opfer« zu sezieren, und sich schließlich den Kläger mit dem geringsten Anspruch aussuchen. Wenn sie ihren Sieger hatten, würden sie einen dicken, hieb- und stichfest begründeten Schriftsatz zum Gericht bringen und die Abtrennung des Falls beantragen. Sie würden Richter Seawright bitten, den von ihnen ausgesuchten Fall auf die Schnellverfahrensliste zu setzen und alle Hindernisse für einen Geschworenenprozess aus dem Weg zu räumen.
Wenige Minuten nach achtzehn Uhr flüchtete David aus dem Marriott und eilte zu seinem Wagen. Ihm dröhnte der Schädel, und er brauchte dringend frische Luft. Als er die Innenstadt hinter sich hatte, hielt er an einem Starbucks in einer kleine Ladenzeile und bestellte einen doppelten Espresso. Zwei Türen weiter war ein Geschäft für Partybedarf, das Werbung für Kostüme und Spielzeug machte. Inzwischen war keines dieser Geschäfte mehr vor ihm und Helen sicher. Sie suchten immer noch nach einem Satz Nasty Teeth, in der Verpackung, mit den Namen der Unternehmen im Kleingedruckten. Dieses Geschäft hatte das übliche Sortiment an billigen Kostümen, Dekoartikeln, Spielzeug und Geschenkpapier. Außerdem fand er mehrere Sätze mit Vampirzähnen, hergestellt in Mexiko und vertrieben von einer Firma namens Mirage Novelties in Tucson.
Mirage kannte er, er hatte sogar eine kleine Akte über das Unternehmen. In Privatbesitz, Umsatz im letzten Jahr achtzehn Millionen Dollar, die meisten Produkte von der Art, wie er sie gerade in der Hand hielt. Er hatte Akten über Dutzende von Firmen, die sich auf billiges Spielzeug und ähnlichen Schnickschnack spezialisiert hatten, und täglich fand er weitere Informationen. Nasty Teeth allerdings hatte er bislang nicht gefunden.
Er bezahlte drei Dollar für die Vampirzähne, die er seiner wachsenden Sammlung hinzufügen wollte, dann fuhr er zur Brickyard Mall, wo er sich mit Helen in einem libanesischen Restaurant traf. Beim Essen weigerte er sich, über seinen Tag zu sprechen – morgen würde er das Gleiche noch einmal durchmachen müssen –, daher unterhielten sie sich über Helens Seminare und den Familienzuwachs.
Das Lakeshore Children’s Hospital war ganz in der Nähe. Sie fragten sich bis zur Intensivstation durch und fanden Soe Khaing in einem Besucherzimmer. Er hatte Verwandte bei sich, die ihnen vorgestellt wurden, allerdings verstanden weder David noch Helen einen einzigen Namen. Die Myanmaren waren sichtlich gerührt, dass die Zincs vorbeigekommen waren.
Thuyas Zustand hatte sich während des letzten Monats kaum verändert. Am Tag nach dem Besuch in der Wohnung seiner Eltern hatte sich David mit einem der
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