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Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Titel: Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Jötten
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konnte. Doch in diesen drei Monaten hatten sich noch weitere Problemzonen angesammelt: Mein linker Fuß schmerzte seit einiger Zeit so sehr, dass ich humpelte. Und mein rechter Daumen war schon lange ein Problemkind. Manchmal springt er kurz aus dem Gelenk, wenn ich ihn zu stark belaste. Kennen Sie das Geräusch, wenn man einem Grillhähnchen den Flügel herausdreht? So ungefähr hört sich das dann an.
    Nur bin ich kein totes Grillhähnchen, sondern ein lebendiger, empfindsamer Mensch. Nach zwei Tagen ist der Schmerz meist weg, und jedes Mal denke ich dann, war doch halb so wild. Aber was, wenn man mal an einer Felsklippe hängt? Dann kann ein funktionstüchtiger Daumen über Leben und Tod entscheiden. Also beschloss ich, dass sich mein Besuch bei diesem Top-Orthopäden in Hamburg-Pöseldorf auch lohnen sollte.
    «Ich habe drei Monate lang auf diesen Termin gewartet!», antwortete ich empört.
    «Dann müssen Sie einen neuen Termin machen. Drei Sachen auf einmal, das geht nicht.»
    Ich kam mir vor wie in einem Feldlazarett: «Ihr rechter Arm muss angenäht werden», erklärt mir der Doktor mit dem blutbespritzten Kittel. «Sie haben außerdem Wundbrand am linken Fuß, den müssen wir absägen, und die drei Kugeln in Ihrem Rücken sollten wir auch rausholen. Wir haben nur ein Problem: Das Morphium ist alle, die Krankenschwester hat die Ruhr, und ich habe seit 76 Stunden nicht mehr geschlafen. Also, Soldat, wählen Sie.»
    Aber das hier war kein Krieg. Jedenfalls noch nicht. Was sollte dieses Ene-mene-Reise-nach-Jerusalem-Spiel mit meinen Körperteilen? Es war eine unmögliche, unmoralische Entscheidung, und doch sagte ich: «Dann nehmen Sie Rücken und Fuß.» Im gleichen Moment hasste ich mich dafür, meinen rechten Daumen verraten zu haben.
    Am Ende behandelte mich der Orthopäde doch länger als zehn Minuten, vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen. Beim Hinausgehen sah ich schon die nächste Patientin auf mich zukommen. Eine junge Frau, die ihn vorwurfsvoll ansah. Er entschuldigte sich überschwänglich, dass sie so lange hatte warten müssen. Ich wette meinen linken Daumen, dass sie Privatpatientin war!
    Irgendetwas musste ich tun. Ich überlegte, einen Beschwerdebrief an die Ärztekammer zu schreiben. Aber ich war unsicher: Wäre es nicht fairer, dem Weißkittel meine Kritik direkt ins Gesicht zu sagen? Doch dann müsste ich ja wieder einen Termin machen und drei Monate warten. Bis dahin wäre mein Ärger sicher längst verraucht. Sollte ich ihm einen Brief schreiben? Aber den würde er doch nicht ernst nehmen – er hatte mich ja noch nicht mal ernst genommen, als ich persönlich vor ihm stand!
    Und ich zweifelte, ob diese Beschwerde überhaupt angemessen war. Wegen eines Daumens? Andere Leute haben vergessenes OP -Besteck in ihrem Bauch. Und außerdem: Der Mann ist immerhin Arzt. War das nicht – mindestens – Halbgotteslästerung?
    Früher waren Ärzte noch Respektspersonen. Widerspruch undenkbar. Erstaunlich, wie sich die Eliten in den letzten Jahren auflösen: Patienten widersprechen Ärzten, Internet-Nerds erwischen Minister beim Schummeln, selbst Bundespräsidenten sind nicht mehr sicher. Aber Elite zu sein, das muss man sich erst einmal verdienen. Und als Arzt Behandlungen zu verweigern, ist dabei nicht gerade hilfreich. Könnte man hier nicht schon von einem hippokratischen Meineid sprechen?
    Ich schrieb den Brief und kam mir doch ein bisschen vor wie Knöllchen-Horst. Kennen Sie den? Das ist ein Frührentner in Osterode, der seit Jahren Verkehrspolizei spielt. 30 000 Verkehrssünder und Falschparker hat er angeblich schon angezeigt. Nein, so wie Knöllchen-Horst wollte ich nicht sein.
    Ich mach’s kurz: Die Ärztekammer entzog Doktor No nicht die Approbation. Sie versetzte ihn auch nicht nach Afghanistan. Er musste lediglich eine Stellungnahme zu dem Vorgang abgeben. Das tat er und entschuldigte sich auch – allerdings nicht für den verschmähten Daumen, sondern dafür, dass es ihm offenbar nicht gelungen sei, mir zu erklären, welches Problem ich eigentlich habe. Am Ende befanden die Kammerlinge, dass kein Verstoß gegen die Berufsordnung vorliege.
    Wozu das Ganze, fragen Sie? Ich denke, ich war es mir und meinem Daumen einfach schuldig. Und vielleicht nimmt sich Doktor No ja beim nächsten (Nicht-Privat-)Patienten mehr Zeit. Ich drücke ihm jedenfalls beide Daumen.

FREDERIK JÖTTEN

Operation Privatpatient
    Als ich zum Arzt kam, war ich gesund, als ich ging, war ich potenzieller

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