Vertrau deinem Herzen
durchbrechen und sehen müssen, was für ein Chaos sie aus ihrem Leben gemacht hatte.
Sie war nicht so dumm, zu glauben, dass so etwas wirklich möglich war. Aber sie war trotzdem dumm. Sie musste aufhören, das vor sich selbst zu verstecken. Ihre Fehler waren ein Teil von ihr, und sosehr sie auch versucht hatte, sie zu leugnen – sie konnte sie nicht ungeschehen machen. Sie hatte versucht davonzulaufen. Aber das Problem war: Man konnte nicht weglaufen, wenn das Problem, dem man zu entkommen versuchte, man selber war. Sie würde immer California Sequoia Evans sein, aufgewachsen in einem Irrenhaus, dann von Haus zu Haus weitergeschoben von Leuten, für die Pflegekinder nichts weiter bedeuteten als ein monatlicher Scheck vom Staat.
Nicht alle waren so gewesen, da musste sie fair bleiben. Die erste Familie, in die sie als verängstigtes, missmutiges Kind gebracht worden war, war sehr nett gewesen. Die Clines. Sie erinnerte sich immer noch daran, wie sie über die einfachsten Sachen gestaunt hatte. Eine Mutter, die bei den Hausaufgaben half. Fernsehen am Samstagmorgen. Die Erleichterung, sich normal zu fühlen, war leider zeitlich begrenzt gewesen. Gerade als sie begann, ihr Leben wieder zu mögen, war sie zu einer anderen Familie geschickt worden, die streng und einengend gewesen war. Als sie zu viele ihrer dummen Regeln gebrochen hatte, war sie bei den Coldwells gelandet, einer gut situierten Familie, die aus einer verbitterten, argwöhnischen Mutter, einem kritischen, anspruchsvollen Vater und einem Sohn bestand, der mit neunzehn Jahren immer noch zu Hause lebte.
Und jetzt war sie hier mit Kate und Aaron in deren Haus am See. Sie hatte noch nie jemanden wie die beiden kennengelernt. Kate war freundlich und lustig und fürsorglich, und Aaron war einfach süß. Manchmal ein bisschen verrückt, aber welches Kind war das nicht? Callie durfte sich nicht zu sehr an sie gewöhnen! Irgendwann war der Sommer vorbei, und die beiden würden wieder in die Stadt zurückkehren. So wie sie Kate kannte, würde die bestimmt versuchen, ihr weiter zu helfen. Aber Callie wollte sie nicht mehr zu ihrem Vorteil ausnutzen. Ihr würde schon was einfallen. Sie hatte nur noch keine Ahnung, was.
Während sie ging, kreiste sie ihre Schulter und versuchte, die verspannten Muskeln etwas zu lockern. Yolanda drängte Callie immer, es mal mit Yoga zu probieren – was ein netter Versuch war, ihr zu sagen, sie solle überhaupt mal was gegen ihr Übergewicht unternehmen. Als wenn Yoga ihr dabei helfen könnte. Kopfschüttelnd massierte Callie sich ihren unteren Rücken. Nichts würde helfen. Sie hatte mal gelesen, dass Zeit alle Wunden heilt, aber inzwischen wusste sie, dass das purer Blödsinn war.
Sie hatte also depressive Gedanken an ihrem Geburtstag. Na und? Es war ja auch ein deprimierender Geburtstag. Hier war sie nun, an dem Tag, an dem sie geboren worden war. Und sie konnte nur daran denken, wie beschissen ihr Leben war.
„Reiß dich zusammen!“, murmelte sie, als sie stehen blieb, um ihre Wasserflasche aus ihrer Einkaufstasche zu nehmen. Kate machte ihr jeden Tag ein Lunchpaket fertig, das jedes Mal eine Flasche eisgekühltes Wasser enthielt. Callie nahm einen tiefen Schluck und schüttete sich die letzten Tropfen aus der Flasche über ihr überhitztes Gesicht. Sie war es leid, sich durch jeden Tag zu schleppen, leid, Klamotten für fette Mädchen zu tragen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung.
Ehrlich gesagt, wünschte sie sich nichts zu ihrem Geburtstag. Sie wünschte sich etwas für ihr Leben. Sie wollte normal sein. Sie wollte lachen und Spaß haben, ohne sich Sorgen um die Zukunft zu machen. Eine beste Freundin haben. Und einen Freund.
„Ja, sicher!“, sagte sie laut, aber sogar hier, mitten im Nirgendwo, straffte sie automatisch die Schultern und schritt wie eine Schönheitskönigin auf dem Mittelstreifen der Straße. Alleine der Gedanke an Luke Newman sorgte dafür, dass sie gerade stehen und der Welt mit einem Lächeln begegnen wollte.
Und das Verrückteste war: Er mochte sie. Ihr Aussehen schien ihm nichts auszumachen. Oder dass sie seit vor Weihnachten nicht mehr in der Schule gewesen war. Oder dass sie sich wie eine Obdachlose anzog. Er verurteilte sie nicht. Es war so seltsam, dass sie ihn ausgerechnet jetzt kennengelernt hatte, direkt nachdem sie Kate und Aaron getroffen hatte. Gerade als sie dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, war sie auf all diese Menschen hier am See gestoßen. Nach einem Leben
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