Vertrau mir
Idee, sich den abgelegten Hof des Gegners als Unterkunft zu wählen, zeugte von Einfallsreichtum. Maike pfiff anerkennend. »Wenn das nicht clever ist.«
Claudia grinste. »Nicht wahr? Hier suchen sie uns zuletzt.« Sie sprang aus dem Wagen.
Vom Haus her eilten jetzt einige Männer und Frauen auf sie zu, begrüßten Claudia mit großem Hallo. Die drehte sich zu Maike um. »Wir laden die Käfige mit den Tieren aus, dann fährst du den Transporter weg. Stell ihn irgendwo ab, aber mindestens hundert Kilometer entfernt von hier.«
Weder Claudia noch ihre Freunde beachteten Maike weiter. Das passte ihr gut. »Ich muss mal aufs Klo. Wo is’n das hier?« fragte sie Claudia. Die einzige Chance, sich vor ihrem geplanten nächtlichen Einsatz schon mal ein wenig umzusehen.
»Das Hauptgebäude geradeaus. Siehst es gleich, wenn du reinkommst.«
»Alles klar.« Es lief perfekt. Maike gedachte sich auf der Suche nach der Toilette erst mal zu »verirren«. Viel Zeit blieb zwar nicht, aber wenigsten konnte sie grob die Gegebenheiten checken. Gab es Keller, Lagerräume oder andere abgelegene, stille Plätze, die sich eigneten, Menschen zu verstecken? Hatte sie das erst einmal abgeklärt, wollte Maike den Kleintransporter wegfahren und mit Anna wiederkommen.
»Beeil dich, wir können noch jemand beim Ausladen gebrauchen«, rief Claudia in ihrem Rücken. Da sie so drängelte, hatte sie wirklich nicht viel Zeit. Fünf Minuten, höchstens zehn. Dann würde man sicher nach ihr suchen. Maike ging in das Haus, erfasste mit einem Blick den kleinen Eingangsraum: Die Toilette lag wie beschrieben geradeaus, daneben eine Treppe, die nach unten führte. Es gab also Kellerräume. Statt aufs Klo ging Maike die Treppe hinunter. Hier gab es drei Türen. Die erste führte in den Heizungsraum. Der nächste Raum entpuppte sich als Lagerraum, der dritte war vollgestellt mit altem Sperrmüll.
Alles völlig unspektakulär. So weit, so schlecht.
Maike stieg die Treppe wieder rauf, spähte durch die Tür nach draußen. Dort hatte man mit dem Ausladen begonnen. Die Käfige mit den Tieren wurden ins Nebengebäude gebracht. Claudia schaute plötzlich in Maikes Richtung. Verdammt. Zu spät, um zurückzuweichen. Claudia hatte sie gesehen, bedeutete ihr zu kommen. Was blieb Maike übrig? Sie musste rüber.
»Alle Käfige sollen rüber zu Ben«, erklärte Claudia. »Er untersucht die Tiere, bevor wir sie weiter in die neuen Unterkünfte schicken. Kranke Tiere müssen separiert werden. Sie kommen erst mal in Quarantäne.«
Maike nahm einen Käfig mit Meerschweinchen, ging hinüber zu besagtem Nebengebäude.
Ein junger Mann in weißem Kittel begrüßte sie. »Hallo. Du bist neu. Hab dich noch nie hier gesehen. Ich bin Ben. Stell den Käfig zu den anderen.«
»Maike«, erwiderte sie. »Ja, ich bin noch nicht lange dabei. Ist erst meine zweite Aktion.«
»Ich mache das hier schon ein paar Jahre«, erzählte Ben bereitwillig. »Bin die Krankenschwester der Gruppe. Wenn die Tiere zu mir kommen, sind sie meistens entweder psychisch oder physisch in schlechtem Zustand, misshandelt oder bis auf die Knochen abgemagert. Ich versuche alles, ihnen zu helfen. Wenn mir das gelingt und sie gesund werden, kommen die Tiere zu Menschen, die es sich zur Aufgabe machen, ihnen ein neues Heim zu geben. Aber manchmal bleibt mir nichts anderes übrig als einzuschläfern.
Die Tiere vom heutigen Transport sind höchstwahrscheinlich alle vermittelbar. Die Zuchtlabors sind angehalten, gutes Material zu liefern. Glück im Unglück für die armen Kreaturen. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, was den Tieren geblüht hätte, wären sie an ihrem Bestimmungsort angekommen.«
Ben schüttelte den Kopf.
»Das Schicksal von Versuchstieren hat für mich persönlich den bittersten Beigeschmack. Andere Tiere, die misshandelt werden, haben einfach nur großes Pech mit ihrem Besitzer. Versuchstiere dagegen werden systematisch im Namen der Wissenschaft und oft über schmerzhafte Umwege getötet. Sie enden mit hoher Wahrscheinlichkeit nach kurzer Zeit auf dem Seziertisch. Das nennt man dann Grundlagenforschung, Qualitätskontrolle oder Sicherheitsprüfung.«
»Nun, dieses Mal haben wir das Schlimmste für die Tiere verhindert«, sagte Maike mit echter Erleichterung.
Wie schon nach der Befreiungsaktion der Hunde vor einigen Tagen fühlte sie sich gespalten. Die Motive von Ben, Claudia und den anderen waren anerkennenswert. Sie kämpften für Lebewesen, die selbst nicht für sich kämpfen
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