Vertrauen
Vatererfahrung kompensieren. Gott als Vater ist kein Ersatz für die Erfahrung des menschlichen Vaters. Aber auch der, der seinen leiblichen Vater gar nicht oder nur unzureichend erfahren hat, hat eine Ahnung in sich, was ein wirklicher Vater ist. Und so kann er Gott als seinen Vater erfahren, der ihm den Rücken stärkt und ihm Mut macht, ins Leben hinaus zu gehen.
Eine Kraft, die aufweckt
I m Markusevangelium wird die Geschichte eines Vaters erzählt, der Angst hat, dass seine Tochter nicht mehr gesund wird. Diesem Mann sagt Jesus: „Hab keine Angst, glaube nur!“ (Mk 5,36) Es ist ein prägnantes Wort, kurz, aber umso gewichtiger. Der Vater spürt seine Ohnmacht. Er kann seiner Tochter nicht mehr helfen. All seine Kraft reicht nicht aus, um seiner Tochter Lebenskraft zu schenken. Jesus sieht die Verzweiflung des Vaters. Und er fordert ihn auf, seine Angst zu lassen und einfach zu vertrauen. Die Frage ist, wie das gehen soll. Ich kann doch die Angst nicht einfach beiseite schieben. Sie wird immer wieder in mir hochkommen. Und ein Wort allein kann sie nicht überwinden. Trotzdem fordert Jesus den Vater auf, sich nicht zu fürchten, keine Angst zu haben. Er soll glauben. Glauben ist hier offensichtlich die Bedingung des Vertrauens. Der Vater soll glauben, dass Jesus seine Tochter heilen wird. Indem er an das Wirken Jesu glaubt, soll er selbst wieder Vertrauen in seine Tochter lernen. Seine Tochter ist nicht nur von dem abhängig, was er ihr geschenkt hat. Sie ist auch Tochter Gottes. Sie gehört auch Gott. Und Gott wirkt durch Jesus an ihr. Er stärkt ihr den Rücken. Er gibt ihr wieder Mut zu leben.
Der Vater lernt, seiner Tochter zu vertrauen, indem er an Gott glaubt, indem er an das Wirken Jesu glaubt. Der Glaube an Gott, der keinen Menschen fallen lässt, ist die Bedingung, dass wir auch an den Menschen glauben können, dass wir Vertrauen in ihn setzen, in die Kraft, die in ihm liegt. DerVater hört, dass seine Tochter gestorben ist, dass alle Lebenskraft aus ihr gewichen ist. So gibt er alle Hoffnung auf. Doch Jesus glaubt an die Kraft, die in der Tochter liegt. Er weckt sie auf. Er stärkt ihr den Rücken. Er nimmt sie an der Hand und richtet sie auf. Aber er lässt sie ihren eigenen Weg gehen. Er gängelt sie nicht. Und er befiehlt, man solle ihr zu essen geben. Sie solle sich stärken, damit sie mit ihrer Kraft in Berührung kommt. Das Vertrauen Jesu weckt in der Tochter die Lebenskraft, die ihr entschwunden zu sein schien. Jesus glaubt, dass sie nicht tot ist, dass die Kraft des Lebens noch in ihr schlummert. Er weckt diese Kraft auf. So hat Vertrauen immer auch etwas Aufweckendes. Es ist nie nur passiv. Es bringt den Menschen in Bewegung.
Das Vertrauen, das wir einem Menschen entgegen bringen, weckt das Vertrauen in ihm selbst auf. Weil wir ihm vertrauen, vermag er nun auch sich selbst zu vertrauen. Weil wir an ihn glauben, kann er an sich selbst glauben, an seine Fähigkeiten, an seine Kräfte. So hat unser Vertrauen immer auch eine heilende Wirkung auf den andern. Es befähigt ihn, sich selbst und den heilenden Kräften in sich zu vertrauen und so stärker zu werden.
An die Hand genommen
E s gibt im Neuen Testament eine Vatergeschichte, in der Jesus den Vater lehrt, an seinen Sohn zu glauben. Sie steht im Evangelium des Markus. Offensichtlich hatte der Vater, von dem hier die Rede ist, zu wenig an den Sohn geglaubt. Er hat mit Misstrauen seine aggressiven Seiten angeschaut und die Regungen seiner Sexualität wahrgenommen. Der Sohn hat dieses Misstrauen gespürt und seine Aggression und Sexualität verdrängt. Doch diese beiden wichtigen Lebensenergien lassen sich nicht verdrängen. So haben sie sich bei dem jungen Mann destruktiv ausgewirkt. Die unterdrückte Aggression hat ihn zu Boden geworfen, so dass er mit den Zähnen knirschte und Schaum vor den Lippen hatte. Die Sexualität hat ihn ins Feuer geworfen und ihn gleichsam verbrannt. Der Vater möchte gerne, dass Jesus den Sohn heilt. Aber er selber möchte selber lieber so bleiben wie bisher. Er fordert Jesus auf: „Wenn du kannst, hilf uns; hab Mitleid mit uns!“ (Mk 9,22). Doch Jesus lässt sich vom Vater nicht benutzen. Er konfrontiert den Vater mit seinem eigenen Unglauben. Er hält ihm einen Spiegel vor, indem er sagt: „Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt.“ (Mk 9,23) In diesem Augenblick erkennt der Vater, dass er nicht an den Sohn geglaubt hat, dass er kein Vertrauen in ihn gesetzt hat. Er möchte sich ändern. So ruft er aus:
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