Vertrauen
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24) Der Vater muss an den Sohn glauben. Er muss ihm vertrauen, dass er den Weg findet, mit seiner Aggression und Sexualität gut umzugehen. Das Misstrauen des Vaters verunsichert auch den Sohn in seinerBeziehung zu den beiden wichtigsten Lebensenergien von Aggression und Sexualität.
Doch Jesus gibt dem Vater nicht die Schuld an dem Verhalten des Sohnes. Er spürt, dass auch der Sohn sich in seinem Misstrauen sich selbst gegenüber eingerichtet hat. Er muss selbst einen Weg des Vertrauens gehen. So befiehlt Jesus dem Dämon mit Macht, er solle ausfahren. Der Sohn muss sich von seinen destruktiven Verhaltensweisen trennen. Er muss mit sich selbst in Berührung kommen. Das ist ein schmerzlicher Weg. Der Sohn schreit den Schmerz und die Wut über die Fremdbestimmung aus sich heraus. Er kommt mit sich und seiner Kraft in Berührung. So kann Heilung geschehen. Jesus nimmt ihn an der Hand und richtet ihn auf. Jesus fordert den Vater auf, an den Sohn zu glauben. Aber er verlangt auch vom Sohn, dass er sich nicht als Opfer sieht, sondern der eigenen Kraft traut, die Gott ihm geschenkt hat. Er ist fähig, sein eigenes Leben zu leben. Er muss sich verabschieden von seiner eigenen Haltung, mit der er dem Vater keine Chance der Verwandlung gelassen hat. Er hat sich am Vater gerächt. Vertrauen heißt, die destruktiven Spiele zu lassen und sich dem Leben zu zuwenden.
Führung und Vertrauen – Was Kinder brauchen
D as deutsche Wort „erziehen“ kommt von „ziehen“. Wenn ich ein Kind erziehe, ziehe ich das aus ihm heraus, was in ihm steckt. Das meint auch das lateinische Wort für „erziehen“, „educare“. Es kommt von „ducere – führen“. Ich führe das Kind heraus aus dem unbewussten in das bewusste Leben. Ich führe es heraus aus der Unreife hinein ins Reifen und Wachsen. Ich locke aus dem Kind heraus, was in ihm steckt. Als ich mit zehn Jahren ins Internat kam, wurden wir „Zöglinge“ genannt. Wir waren also die, die man erziehen wollte. Und ein wichtiges Erziehungsmittel war die Zucht. Auch „Zucht“ kommt von „ziehen“ Eigentlich bedeutet es, dass der Erzieher aus dem Kind herauszieht, was in ihm ist. Aber oft genug wurde Zucht anders verstanden. Sie wurde zu einem Weg in ein enges Korsett, das uns als Idealbild vorgegeben wurde. Wir wurden in etwas hineingezogen, das wir eigentlich gar nicht wollten.
Der libanesische Dichter Khalil Gibran versteht unter Erziehung etwas anderes. Es kommt dem nahe, was die Sprache zum Ausdruck bringt: herausziehen, hervorlocken, was immer schon da ist – und diesem Potential vertrauen. „Deine Kinder sind nicht dein Besitz, sie sind Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Ihre Seele wohnt im Haus des Morgen, wo du sie nicht besuchen kannst.“ Die Kinder gehören nicht den Eltern und Erziehern. Sie gehören letztlich Gott. Und – wie Gibran es formuliert – sie gehören der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie haben in sich eine Sehnsucht, der zu sein, der sie von Gott her sein wollen.Das verlangt, dass die Eltern sich in das Geheimnis jedes Kindes hineinmeditieren. Welche Sehnsucht steckt in diesem Kind? Was ist sein Geheimnis? Was denkt es? Wie fühlt es? Was ist seine Stärke, was seine Begabung? Ich kann über das Kind nicht verfügen. Ja, es wohnt in einem Haus, in dem ich es nicht besuchen kann. Ich kann nur erahnen, was das Morgen ist, das in diesem Kind aufleuchtet. Aber ich weiß nicht, was für es stimmt. Ich kann mich im Haus seiner Seele nicht umsehen wie in seinem Zimmer, das ich aufräume, wenn es durcheinander geraten ist. Das Haus seiner Seele vermag ich nicht einzurichten nach meinem Geschmack. Es ist unzugänglich für mich. Ich kann nur darauf vertrauen, dass das Kind in diesem Haus des Morgens daheim sein kann, dass es sein eigenes Morgen erkennt und zulässt.
Loslassen und Vertrauen gehören also zur Kunst der Erziehung. Sie sind Voraussetzung, dass Kinder selber Vertrauen ins Leben lernen. Es gibt ein Dilemma bei der Kindererziehung: Auf der einen Seite möchten wir pflegeleichte Kinder, auf der anderen Seite Kinder, die sich auszeichnen durch ihre eigene Meinung, durch Eigenschaften, die sie von anderen abheben. Doch angepasste Kinder können kaum hervorstechen, sie bleiben Mittelmaß. Von beiden Erwartungen müssen wir lassen, damit die Kinder das werden können, was sie aus sich heraus sind. Gute Eltern wissen, dass sie ihre Kinder loslassen müssen. Die Kinder,
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