Vertrauen
Kranke heilt. Er kennt die Seele des Menschen. Und daher wendet er sich zuerst an die Seele, an die innere Haltung, die oft zur körperlichen Krankheit führt. Es ist die Haltung der Sünde, der Lebensverweigerung. Letztlich ist es die Angst, die den Menschen lähmt. Und erst als er die Angst mit seinem Zuspruch des Vertrauens und der Vergebung überwunden hat, heilt Jesus den Kranken auch körperlich. Er tut es mit einem Wort: „Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!“ (Mt 9,6). Der Kranke, der noch gelähmt auf dem Bett liegt, soll mitten aus seiner Lähmung, aus seiner Schwäche, aus seiner Hemmung heraus aufstehen. Er soll es einfach versuchen. Er muss nicht zuerst abwarten, bis er die Angst überwunden hat, sondern er muss mit seiner Angst aufstehen.
Und auch das Zweite ist mir an dieser Geschichte des Gelähmten wichtig: Er soll sein Bett unter den Arm nehmen und es mit sich herum tragen. Das Bett ist Zeichen seiner Lähmung, seiner Krankheit, seiner Unsicherheit und Hemmung. Vertrauen zu haben heißt nicht, dass wir ohne Hemmungen sind. Wir sollen vielmehr unsere Hemmungen undUnsicherheiten unter den Arm nehmen und sie mit uns tragen. Aber sie fesseln uns nicht mehr ans Bett.
Damit mich die Angst nicht lähmt, muss ich sie zulassen und mich mit ihr vertraut machen. Die lähmende Angst verweist mich auf falsche Grundannahmen meines Lebens, etwa auf die Grundannahme, dass ich keinen Fehler machen darf, weil ich sonst von andern verachtet würde. Indem ich mir diese falsche Grundannahme formuliere, kann ich sie zugleich entmachten. Ich wandle sie um in eine Erlaubnis: Ich darf Fehler machen. Auch mit meinen Fehlern bin ich wertvoll. Das ist der eine Weg. Der andere Weg besteht darin, mir zuzugestehen, wie wichtig mir das Urteil der andern ist. Ich möchte, dass die andern gut von mir denken. Wenn ich mir das eingestehe, kann ich meine Sehnsucht, vor andern gut dazustehen, zugleich relativieren: Ja, es liegt mir daran, gut beurteilt zu werden. Aber davon kann allein kann ich nicht leben. Mein eigentlicher Wert liegt tiefer. Und er ist unabhängig von den Vorstellungen und Gedanken, die sich andere über mich machen. Eine solche Haltung eröffnet neue Wege in eine neue und größere Freiheit.
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ANDEREN VERTRAUEN SCHENKEN
Wie Vertrauen wächst
A ls junger Priester habe ich oft Besinnungstage für Schulklassen gehalten. Die Schüler und Schülerinnen waren zwischen 15 und 18 Jahre alt. Meistens habe ich das Thema „Vertrauen“ genommen mit den drei Bereichen: Selbstvertrauen, Vertrauen zum andern und Vertrauen auf Gott. Vor allem die beiden ersten Themen haben die Jugendlichen immer brennend interessiert. Die einen litten darunter, dass sie so wenig Selbstvertrauen hatten. Sie trauten sich nicht, in der Gruppe ihre eigene Meinung zu sagen, aus Angst, sie könnten lächerlich gemacht werden oder sie könnten sich blamieren, weil das, was sie sagten, nicht gut genug sei. Andere litten unter dem mangelnden Vertrauen in der Schulklasse. Ihnen war es wichtig, in der Klasse eine Gemeinschaft zu erfahren, in der man sich wohl fühlt und in der man einander vertrauen kann. Aber häufig erlebten sie, dass es einige Gruppierungen in der Klasse gab. In der einen Gruppe sprach man über die andern schlecht. Ein beliebtes Gesprächsthema war, sich über andere zu amüsieren und über sie alles Mögliche zu verbreiten. Das schuf dann ein Klima des Misstrauens. Man traute sich gar nicht mehr offen zu sein, aus Angst, die andere Gruppe könnte die eigenen Worte und Erfahrungen breit treten. Die Jugendlichen wünschten eine Atmosphäre des Vertrauens. Aber sie taten sich zugleich schwer, sie zu schaffen. Sie erhofften von den Besinnungstagen, dass das Vertrauen in der Klasse wächst. Aber man kann Vertrauen nicht von den andern einfordern. Es muss wachsen. Manchmal gelang es, dass die Tage die Schüler näher zusammenführten. Aber das direkte Gespräch über das mangelnde Vertrauen in der Klasse half meistens nicht weiter. Denn dann fühlten sich andere angegriffen. Sie verteidigten sich und schoben die Schuld für das mangelnde Vertrauen auf die andern.
Mein Weg, Vertrauen zu vermitteln ging über die gemeinsame Erfahrung. Ich ließ die Schüler und Schülerinnen einfach Übungen machen. Eine beliebte Übung war: Wir saßen alle im Kreis. Ich nahm meinen Kugelschreiber und drehte ihn, bis er auf jemand zeigte. Der musste sich dann für 2 Minuten in den Kreis setzen. Jeder, der wollte, konnte dann sagen:
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