Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
Seite reißen.
Was Kellan anging, kannte Nathan auch ihn gut – oder dachte das zumindest. Trotzdem war Nathan sicher, dass das Erinnerungsstück gefunden werden sollte und dass es nicht als dreiste Verhöhnung gemeint war, um den ganzen Zorn des Ordens zu provozieren.
Nein, verstand Nathan jetzt. Der zurückgelassene Spiegel war als Einladung gedacht.
Als Hinweis, der die richtige Person direkt dorthin führen sollte, wo Kellan jetzt war.
Er war ein Zeichen der Kapitulation.
Es war weniger ein Geräusch, das Kellan weckte, sondern ein plötzliches, stilles Gefühl der Erwartung. Er spürte es um sich in der Luft, in der mondhellen Nacht und dem dichten, dunklen Wald draußen vor der Glastür des Schlafzimmers. Geräuschlos, heimlich, tödlich.
Man hatte sie so schnell gefunden.
Er war nicht überrascht.
Nein, er war auf diesen Augenblick vorbereitet gewesen, schon seit sie die Basis in New Bedford verlassen hatten. Oder noch länger, vom Augenblick an, als er Mira beim Betrachten ihres Spiegelbildes gesehen hatte und ihm auf so entsetzliche Weise klar geworden war, welchen Preis sie dafür zahlen musste, dass er das Unvermeidliche hinauszögerte.
Wie viel es sie bereits gekostet hatte.
Er wollte, dass das alles jetzt aufhörte. Um ihretwillen.
Wenn es nicht schon zu spät war.
Vorsichtig löste er sich aus Miras Armen, die nackt neben ihm schlief, und schlüpfte aus dem Bett. Er zog seine weite Jeans über, ging barfuß zur Glastür, öffnete sie geräuschlos und trat in die kühle Sommernacht des Nordens mit ihrem würzigen Tannenduft hinaus.
Aus der tintigen Schwärze des Waldes löste sich ein Schatten.
Nathan.
In schwarzer Kampfmontur und mit einem Waffengürtel voller Dolche und Pistolen hätte der ehemalige Killer Kellan inzwischen auf ein Dutzend unterschiedliche Arten töten können. Aber er machte keine Anstalten anzugreifen, als er sich aus dem Schutz des Waldes näherte. Schweigend sah er Kellan zum ersten Mal nach acht Jahren ins Gesicht.
Kellan warf einen schnellen Seitenblick in die Richtung des umgebenden Waldes.
»Ich bin alleine gekommen.« Nathans tiefe Stimme war leise, fast nur ein Flüstern in der Stille, die sie umgab, und keinerlei Emotion schwang in ihr mit. Ruhig und ausdruckslos, genau wie auch der Blick seiner unverwandten Augen. »Niemand weiß, wo ich bin. So wolltest du es doch.«
Kellan nickte vage. »Ich hatte es gehofft, ja.«
»Ist sie hier bei dir?«
»Ja.«
»Sie war die ganze Zeit über in Sicherheit?«
Das konnte Kellan ihm kaum bestätigen, schon gar nicht jetzt, wo er nicht sicher war, ob sie jemals wieder gesund werden würde. Er hatte sie vor über einer Stunde mit seinem Blut genährt, in der Hoffnung, dass die vollendete Blutsverbindung ihr Sehvermögen wiederbringen würde. Sie war in seinen Armen eingeschlafen, hatte ihm vertraut, dass er sie gesund machen würde, aber für ihn hatte es sich angefühlt wie ein weiteres Versprechen, das er vielleicht nicht einhalten konnte.
»Mira ist im Haus«, sagte er zu Nathan, wollte seinen alten Freund nicht anlügen und war doch noch nicht ganz bereit, zu akzeptieren, dass Mira nicht geheilt werden konnte. »Sie schläft, zusammen mit den drei restlichen Mitgliedern meines Teams, die mir geholfen haben, sie hierherzubringen.«
Nathan stieß ein Knurren aus. »Und du. Bist doch nicht tot.«
»Ich hätte tot sein sollen«, antwortete Kellan. »Jemand hat mir damals nach der Explosion geholfen, mich gepflegt, bis ich wieder auf dem Damm war. Ich hatte nie vor, so zu verschwinden –«
Nathan fiel ihm ins Wort, seine Stimme war kühl, seine Worte emotionslos und knapp. »Erklärungen sind nicht nötig. Zumindest was mich angeht. Ich bin nicht dein Richter und nicht deine Jury, nur der Jäger, der gekommen ist, um einen Verräter zurückzuholen.«
Kellan hob das Kinn, die Antwort traf ihn wie ein brutaler Faustschlag in den Magen. »Ich schätze, das habe ich verdient, wo wir doch Freunde sind.«
»Mein Freund ist vor acht Jahren gestorben. Bowman kenne ich nicht.«
»Und doch bist du allein gekommen, nachdem du meinen Hinweis gefunden hast, der zu meiner Verhaftung führen würde.«
Nathan trat einen kleinen Schritt vor, sein Gesicht war grimmig. »Sieh es so, dass ich das für das Andenken meines toten Freundes getan habe. Und für die Frau, die nie aufgehört hat, ihn zu lieben. Eine Frau, die etwas Besseres verdient als das hier und der schon bald wieder das Herz brechen wird.«
»Mira ist der Grund,
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