Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
seine Nähe zu gehen«, sagte er. »Aber da waren noch ein paar zurückgelassene Dinge. Möbel, ein paar Kleider … und der hier.« Ehrfürchtig berührte er das Pfeil-und-Bogen-Emblem. »Er lag im alten Quartier meines Großvaters auf einem Toilettentisch, den er für meine Großmutter aus dem Fichtenholz der umgebenden Wälder gemacht hatte. Der Spiegel war angekohlt und von Ruß und Asche geschwärzt. Da wurde mir klar, dass Großvater zu unserem Dunklen Hafen nach Boston zurückgegangen sein musste, nachdem der zerstört worden war. Er musste durch die Trümmer gekrochen sein, um ihn zu finden, und das, wo er doch geschworen hatte, nie zum Schauplatz ihres Todes zurückzukehren. Zurück zu dem Haus, wo sie und meine Eltern – meine und seine ganze Familie – in den Flammen umgekommen waren.«
»Ach Kellan«, flüsterte Mira, und ihr Herz zog sich in ihrer Brust zusammen.
»Ich hatte kein Recht, ihn mitzunehmen, aber sobald ich ihn in der Hand hatte, konnte ich ihn nicht dort lassen.« Vorsichtig legte er den Spiegel in die Truhe zurück, bettete ihn wieder in den weichen Kleiderstapel. »Ich habe da noch was, was mir nicht gehört.«
Er stapfte zu seinem Schreibtisch hinüber und öffnete die oberste Schublade. Nahm ihren geliebten Dolch heraus und brachte ihn ihr. Sie nahm ihn mit einem dankbaren kleinen Lächeln aus seiner ausgestreckten Hand.
Sie las die Worte, die auf beiden Seiten der kostbaren Klinge eingraviert waren. » Ehre. Opfer .« Der andere Dolch, den sie an dem Tag verloren hatte, als man sie wieder in Kellans Leben gebracht hatte, trug zwei weitere Parolen, nach denen sie sich zu leben bemühte: Glaube. Mut . »Es fühlt sich komisch an, nur den einen zu haben«, murmelte sie. »Nicht im Gleichgewicht. Nicht so stark ohne sein Gegenstück. Ich hätte nie gedacht, dass sie einmal getrennt sein würden.«
Kellan sah sie sanft an, seine Miene war ernst, voller Reue. Ihm war klar, dass sie auch über sie beide redete. »Ich wollte dir nie etwas wegnehmen, Maus. Schon gar nicht dein Glück und auch nicht den Dolch. Ich hab dir versprochen, dass du ihn wiederkriegen würdest, bevor alles so schiefgelaufen ist. Ich habe dich schon wieder enttäuscht.«
Er streckte die Hand aus und zog sie sanft auf die Beine. Er streichelte ihr Gesicht, seine Finger waren so vorsichtig und sanft, dass sie fast erstickte an dem Schluchzen, das in ihrer Kehle aufstieg. »Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich so vieles ändern«, sagte er. »Ich würde alles dafür tun, dass du erst gar nicht mit mir in diese Sache reingezogen wirst.«
»Nein«, antwortete sie, riss sich zusammen und schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Keine Minute würde ich rückgängig machen von dem, was wir eben miteinander erlebt haben. Du etwa?«
Er schwieg lange, streichelte ihr nur die Wangen und strich ihr mit dem Daumen über die Lippen, dann legte er ihr seine warme Hand um den Nacken.
»Du würdest wirklich alles ungeschehen machen?«, fragte sie, und ihr graute vor seiner Antwort.
Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, und in seinen Augen blitzte gezügelte, aber immer noch brennende Glut. »Ich halte dich immer noch fest, oder nicht?«
Er küsste sie, und Mira konnte das Grauen nicht wegschieben, das beim Gedanken in ihr aufstieg ihn wieder zu verlieren. Sie wollte sich diesen Augenblick nicht von ihrer schrecklichen Vision ruinieren lassen, aber sie war trotzdem da, wollte ihr keinen Frieden geben. Sie brach Kellans liebevollen Kuss ab, senkte den Kopf und schloss die Augen. Er lehnte seine Stirn an ihre und hielt sie weiter fest an sich gedrückt.
»Kellan«, sagte sie, dann zog sie sich zurück und sah zu seinen braungrünen Augen auf, in denen bernsteinfarbene Funken blitzten. »Erzähl mir noch mal von dieser Vision, die du gesehen hast. Von den Anklagepunkten gegen dich.«
Sein gut aussehendes Gesicht wurde ernst, sein Kiefer spannte sich an, als er die Backenzähne zusammenbiss. »Es waren Kapitalverbrechen, Maus. Genau wie ich’s dir gesagt habe.«
»Ja, aber was genau?«
»Verschwörung«, sagte er ruhig. »Hochverrat. Entführung und Mord.«
Beim letzten Punkt setzte ihr Puls einen Schlag aus. »Mord. Wie viele Leute hast du getötet, Kellan?«
»Mehr als ich mich erinnern kann«, antwortete er ohne eine Spur von Rechtfertigung in der Stimme. »Du weißt von ihnen allen. Du warst dabei, viel zu oft, als die Straßen im Blut schwammen.«
»Nein«, sagte sie. »Das war
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