Vertraute Gefahr
ab sofort würde sie nichts weiter als einen Kollegen in ihm sehen. Jedenfalls hoffte sie, dass ihr das gelang.
Langsam schob Shane Leigh über den gepflasterten Weg zum Delicate Arch Viewpoint.
»Ist dir auch nicht zu warm, Leigh?« Schützend beugte er sich über sie.
»Und wenn, was könntest du schon dagegen tun? Die Sonne ausschalten?« Bitterkeit klang in der Frage seiner Schwester mit.
Shane spürte Ärger in sich aufsteigen, doch er hielt seine Stimme ruhig. »Ich versuche nur, es dir so angenehm wie möglich zu machen. Kein Grund, auf mich loszugehen.«
Leighs Hände krampften sich um die Armstützen des Rollstuhls. Es war offensichtlich, dass sie dieses Ding hasste und ihr Schicksal verfluchte. Shane wünschte, er könnte irgendetwas tun, um ihr zu helfen, doch das war unmöglich. Er konnte nur versuchen, sie ab und zu aus ihrer Wohnung und der Stadt herauszuholen und ihr zu zeigen, dass es im Leben auch noch schöne Dinge gab. Aber sosehr er und der Rest der Familie es auch versuchten, Leigh zog sich immer weiter zurück und schien mit jedem Tag unglücklicher zu werden. Selbst ihre Zwillingsschwester Shannon, mit der sie sich ein Apartment teilte, kam nicht mehr an sie heran.
Leighs Schultern entspannten sich, sie legte eine Hand auf Shanes. »Entschuldige, das war nicht fair. Es ist schön, dass du Zeit für mich hast.« Sie lächelte ihn an. »Wer war übrigens vorhin diese Autumn? Eine Freundin von dir?«
Shane zuckte ertappt zusammen. »Im Moment wohl eher nicht. Autumn hat diese Woche erst hier als Rangerin angefangen. Wieso fragst du?«
Ihr Blick ruhte spöttisch auf ihm. »So wie du mich demonstrativ im Auto geküsst hast, habe ich mich gefragt, ob du sie damit vielleicht ärgern wolltest.«
Shane spürte Hitze in seine Ohren steigen. »Ich wollte nur testen, wie sie reagiert. Ich weiß bei ihr wirklich nicht, was sie denkt. Das macht mich wahnsinnig.«
»Shane, hat dir Mom nicht beigebracht, dass man mit Frauen nicht spielt?«
Entrüstet richtete er sich auf. »Das tue ich nicht. Ich finde sie interessant und würde sie gerne näher kennenlernen, aber mal ist sie freundlich und offen, mal zugeknöpft und manchmal auch beinahe ängstlich. Und immer wenn ich denke, ich wäre gerade ein Stück weitergekommen, schließt sie mich wieder völlig aus und ich darf von vorne anfangen. Ich weiß einfach nicht, wie ich mit ihr umgehen soll.« Ratlos schüttelte er den Kopf. »Und dann diese Narben.«
»Was denn für Narben?« Erstaunt drehte Leigh sich zu ihm um.
Shanes Gesicht verdüsterte sich bei der Erinnerung. »Mindestens an einem Bein hat sie furchtbare Narben. Den Rest von ihr habe ich noch nicht gesehen, aber das hat mir gereicht. Und wenn sie ein größeres Messer sieht, bricht sie in Panik aus.« Ratlos zuckte er mit den Schultern. »Ihr muss irgendetwas passiert sein, und es ist keine Kleinigkeit gewesen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie darüber reden will. Und mit mir schon gar nicht.«
»Sie sah vorhin aber eher so aus, als hättest du etwas getan, das sie nervös gemacht hat.«
»Das lag wohl an gestern Abend. Ich habe ihre Abwehr unterlaufen, und das nagt an ihr.«
Belustigt sah seine Schwester ihn an. »Eine sehr interessante Formulierung. Was heißt das genau?«
Mit einem Finger stupste Shane ihre Nasenspitze. »Das werde ich dir bestimmt nicht auf die Nase binden. Willst du mich weiter aushorchen oder lieber den Delicate Arch sehen?«
9
Das abendliche Lagerfeuer fiel am nächsten Tag buchstäblich ins Wasser. Ein kräftiger Gewitterguss tränkte die trockene Erde. Die tief stehende Sonne färbte die Landschaft dunkelrot und bildete einen grandiosen Kontrast zu den hoch aufgetürmten, dunkelgrauen Wolken. Gezackte Blitze spalteten den Himmel. Die Luft knisterte vor Elektrizität.
Fasziniert stand Autumn auf der Veranda vor ihrer Hütte und beobachtete das Unwetter. Als ein paar Sonnenstrahlen die Wolken durchbrachen, bildete sich ein fantastischer Regenbogen. Von Lila bis Grün waren alle Farben in strahlender Pracht vorhanden und seine Enden erreichten die feuchte Erde. Ein zweiter, etwas schwächerer Bogen erschien oberhalb des ersten. Die einzigen Geräusche waren die auf das Dach trommelnden Regentropfen und das Rascheln des Wacholderbusches neben dem Haus. Die Menschen hatten sich einen Unterschlupf gesucht und der Natur den Park überlassen. Autumn liebte diese Ruhe.
Sie konnte sich kaum aufraffen, ihren Aussichtsplatz zu verlassen, obwohl sie
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