Vertraute Schatten
Ventil zu finden. Als er den Vampir schließlich entdeckte, der sich vermutlich hinter dem Schreibtisch verkrochen hatte und von dort in den Wartebereich geschlichen war, fand sich seine Vermutung bestätigt. Noch so ein gut aussehendes, verzogenes Möchtegern-Blaublut. Ein
Schoßkind
.
Damien schnaubte angewidert. Wieder stieg ihm der Geruch der Angst in die Nase, den er schon beim Betreten des Büros wahrgenommen hatte. Vielleicht ein Zeuge. Wahrscheinlich mehr Ärger, als er wert war. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als der Vampir vernehmlich zu schlucken begann.
»Nein«, sagte Damien ausdruckslos. »Nein, du wirst mir hier nicht alles vollkotzen.« Er schloss die Augen, warf den Kopf in den Nacken und stöhnte laut, als er ein trockenes Würgen hörte. »Ein bisschen Selbstachtung, Mann! Du erbrichst bloß einen Haufen Blut und machst alles noch schlimmer.«
»Ist Mr Manon wirklich t…tot?« Der Unbekannte saugte mehr Luft ein, als gut für ihn war. Offenbar war ihm wirklich ziemlich übel. Seine Augen huschten von der Leiche über Damien zu einer Reihe hässlicher Landschaftsbilder, die irgendein Idiot ohne jeden Kunstgeschmack hier aufgehängt hatte, und wieder zurück. Beinahe so, als fürchtete er, etwas Schreckliches sehen zu müssen, wenn sein Blick zu lang auf einer Stelle ruhte.
Am liebsten hätte Damien ihm den Schädel eingeschlagen, aber das wäre kontraproduktiv gewesen. Vorläufig zumindest, jetzt wo seine einzige Verbindung zu dem Grigori Sammael für immer verstummt war.
»Wenn ich nichts Entscheidendes übersehe, dann ja. Der Mann ist tot«, antwortete Damien schließlich. »Ich glaube, sein Kopf liegt da irgendwo hinter dem Schreibtisch, wenn du noch mehr Beweise brauchst. Bist du endlich durch mit deiner Rolle als sterbender Schwan?«
»Sein
Kopf
?« Der Vampir stieß ein mitleiderregendes Stöhnen aus und verdrehte die Augen.
»Ah! Offenbar nicht. Na toll.« Damien wandte sich von dem Grünschnabel ab, ehe der ihn noch beschuldigte, ihm den ganzen Abend zu ruinieren, und begann, im Wartebereich auf und ab zu laufen, die Fäuste geballt, die Klauen schon halb ausgefahren. Seine Verabredung war zum Teufel. Der Einzige, der vielleicht etwas Nützliches gehört hatte, war ein kompletter Vollidiot, zu nichts zu gebrauchen, und der Diamant war in weite Ferne gerückt.
Hätte er besser geschlafen, hätte er vielleicht mehr Geduld aufgebracht. Ein Vampir mit Schlafstörungen. Hat man so etwas schon gehört?
Da vernahm er ein Stolpern, ein Winseln, und aus den Augenwinkeln heraus sah er eine schwankende Gestalt. Damiens Instinkte, die er seiner langjährigen erfolgreichen Verbrecherkarriere verdankte, schlugen Alarm. Blitzschnell war er über ihm. Er musste sich konzentrieren, und zwar schnell, ehe alles den Bach runterging. Zeit für Grübeleien konnte er auch später noch verplempern.
Obwohl er im Allgemeinen nicht zum Grübeln neigte. Er kannte genügend ängstliche Katzengestaltwandler.
»Wage ja nicht, mir hier ohnmächtig zu werden, du jämmerliches Stück Scheiße. Ich würde ja uns allen gern den Gefallen tun und dich umlegen, aber ich brauche Antworten.« Damien packte den schlotternden Vampir beim Kragen, hob ihn ein paar Zentimeter vom Boden hoch und fauchte ihn an: »Du hast was gehört. Du musst was gehört haben. Ich schlage vor, du erzählst mir alles, ehe ich auch noch das letzte bisschen meiner Geduld verliere.«
Schlagartig hörte der Vampir auf zu stöhnen, aber als Damien ihm ins Gesicht schaute, standen in seinen Augen Schock und Angst.
Sehr
jung, stellte Damien fest. Und wer auch immer ihn verwandelt hatte, sollte sich schämen, jemanden mit einer so schwachen Konstitution ausgewählt zu haben. Mitleid empfand er jedoch nicht.
»Bitte«, flehte der Mann mit erstickter, zitternder Stimme, während seine Füße über dem Boden baumelten. »Bitte tun Sie mir nichts. Ich habe ihn nicht umgebracht. Ich –«
»Das ist mir klar. Du fällst ja vermutlich schon in Ohnmacht, wenn du jemanden aussaugst. Mit wem hat sich Manon getroffen, bevor ich gekommen bin? Was hast du gehört? Ich … will …
Antworten
!«
Vollauf damit beschäftigt, seine galoppierende Wut im Zaum zu halten, überhörte Damien, wie sich die Tür öffnete. In der einen Sekunde roch er nichts als Blut, Schweiß und Angst, in der nächsten wurden seine Sinne vom Duft eines Rosengartens in voller Blütenpracht überflutet. Ein Aufschrei der Empörung, hell und musikalisch trotz des Zorns, erfüllte
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