Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Telefon, als sie gestürzt ist und sich das ganze Schienbein aufgerissen hat. Jetzt liegt sie im Krankenhaus, und wir können nur hoffen, dass sich die Wunde wieder schließt. In ihrem Alter ist das gar nicht so einfach, sagt der Arzt.«
»Oje!«, sagte Sonja aufrichtig bestürzt. »Da hast du ja jetzt einen schweren Pflegefall.«
»Mein Nachbar Rainer kümmert sich auch um sie«, versuchte ich meine Geschichte loszuwerden. »Und da ist noch etwas, das …«
»Im Übrigen wird Holger völlig überbewertet«, unterbrach mich Sonja und sprang auf. »Andere Mütter haben auch schöne Söhne!«
Mein Herz begann zu rasen. »Was du nicht sagst! Apropos ›andere Mütter haben auch schöne Söhne‹: Ratet mal, wer da am Telefon …«
»Mädels, ich MUSS euch etwas zeigen!« Sonjas Augen leuchteten.
»Carin erzählt gerade von ihrer Mutter!«
»Wie? Ja. Ach so. Ich dachte, du warst fertig.«
»Ja. Im Großen und Ganzen. Mit diesem Thema jedenfalls.«
»Sag ihr ganz liebe Grüße!«, meinte Sonja. »Gute Besserung.«
Ich verlor den Mut. Doch gleichzeitig packte mich die Wut. Sollte Sonja tatsächlich nicht in der Lage sein, einmal an etwas anderes zu denken als an sich selbst? Im Moment anscheinend nicht. Sie platzte schier vor Mitteilungsdrang. Irgendetwas hatte sich zugetragen, das sie nun keine Sekunde länger für sich behalten konnte.
»Wie ihr wisst, werden Manni und ich demnächst für die DVD trainieren.« Sonja schlang die Arme um ihre Knie und lächelte verklärt. »Wenn alle Kursteilnehmer weg sind, probieren wir verschiedene Stellungen aus …«
Billi zog eine Augenbraue hoch und zählte konzentriert die Maschen.
»Wisst ihr, ich war mir erst nicht sicher, ob Manni mich mag, aber jetzt habe ich den Beweis …« Ihre Stimme bebte, und dann kicherte sie plötzlich wie ein kleines Mädchen.
Billi hörte auf zu stricken, und ich schluckte einen dicken Kloß hinunter.
Sonja zog einen Zettel aus ihrem Ausschnitt und hielt ihn uns triumphierend unter die Nase. Er war mit grüner Tinte geschrieben, und die Schrift kam mir verdammt bekannt vor. Oh. O Gott. Das war doch … Wie kam denn der in Sonjas Ausschnitt?
»Der lag in der Umkleidekabine vor meinem Spind!«, verkündete Sonja.
»Ähm, ich habe meine Lesebrille nicht dabei«, entfuhr es mir. Währenddessen schlug mir das Herz bis zum Hals. Moment! Rainer. Draußen vor der Tür. Ich hatte mich also doch nicht geirrt.
»Zuerst bin ich aus allen Wolken gefallen, denn die Überschrift lautet ›Kündigung‹«, erzählte Sonja. »Ich dachte, Manni will kündigen!«
»Was will er denn sonst?«, fragte ich ahnungsvoll.
»Er liebt mich!«, stieß Sonja beglückt aus.
»Lies vor!« Billi nahm einen Schluck Prosecco, bevor sie weiter Laufmaschen zählte.
»Mit der HAND geschrieben! «, frohlockte Sonja.
»Ja, wie denn sonst? Mit dem Mund?«, knurrte Billi.
»Kündigung
Ich
kündige
dir
die Freundschaft,
weil ich anfange,
dich
zu
lieben.«
Sonja sah sich triumphierend um und genoss die Wirkung ihrer Worte. Ihre Augen schimmerten wie tausend Diamanten. Ich verschluckte mich und musste husten. Mir wurde ganz flau. Meine Beine versagten den Dienst.
Sonja ließ den Brief sinken und strahlte uns an. »Ist er nicht süß?«
»Ich weiß nicht«, entfuhr es mir. Ich musste es ihr sagen! Ich musste ihr den Brief aus der Hand reißen und es ihr sagen! Schon öffnete ich den Mund und holte tief Luft, als ich Sonjas glückliches Gesicht sah. Sie hatte richtig weiche Züge, alle ihre Falten waren wie weggebügelt.
»Ich WUSSTE , dass er mich begehrt!«, schwärmte Sonja. »So was merkt man als reife Frau!«
Ich bekam einen Hustenanfall.
»Geht’s?«, fragte Billi und klopfte mir auf den Rücken.
»Ist er nicht zauberhaft?« Sonja küsste den Zettel.
»Jedenfalls ist er für Überraschungen gut«, räumte Billi ein. Sie sandte mir einen fragenden Blick. »Was sagst du dazu, Carin?«
»Ich, äh … Ja, das finde ich auch.«
O Gott. Das war ja alles ein schreckliches Missverständnis! Erst die Sache mit der DVD , und jetzt auch noch der Liebesbrief!
»Und ich dachte schon, er steht auf Vivian«, vertraute Sonja uns an. »Dabei steht er auf mich! Er hat Geschmack!« Sie drückte den Zettel wie ein sterbendes Veilchen an ihren Busen.
»Ja, das dachte ich eigentlich auch«, murmelte Billi. »Das würde irgendwie naheliegen.«
Ich trat ihr unauffällig auf den Fuß.
Wir tranken alle einen großen Schluck Prosecco.
»Dass ein so junger Mann überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher