Verwechseljahre: Roman (German Edition)
spielen! Erst wenn er das Klingeln seiner Automaten hörte, konnte er sich entspannen. Erst in der finsteren Atmosphäre der Daddelhallen, in Gesellschaft seiner Schicksalsge nossen, fühlte er sich geborgen. Verstanden. Akzeptiert. Bewun dert sogar.
Es dauerte nicht lange, und er bestahl seinen Vater. Dann verspielte er Silkes gesamte Ersparnisse. Sosehr er es auch anschließend bereute – jetzt konnte ihm auch die geduldige Silke nicht mehr helfen. Sie wollte auch nicht mehr. Inzwischen war sie mit dem dritten Kind schwanger. Sie wandte sich an Viktor, und der frisch verwitwete Schwiegervater sicherte ihr und den Kindern finanzielle Unterstützung zu. Auf diese Weise konnte sie das kleine rot geklinkerte Reihenhaus behalten und musste erst mal nicht arbeiten gehen. Wie hätte sie das auch bewerkstelligen sollen, als alleinerziehende Mutter dreier Kleinkinder?
Roman hingegen wurde von Viktor rechtskräftig enterbt, was zu nichts führte außer zu weiteren Diebstählen seinerseits.
Silke hatte die Schlösser ausgetauscht und Romans Koffer vor die Tür gestellt.
In Abwesenheit seines Vaters Viktor brach er daraufhin ins elterliche Haus ein und verscherbelte alles, was nicht niet- und nagelfest war, einschließlich des Schmucks seiner Mutter und der Uhrensammlung seines Vaters.
Zur Rede gestellt, beteuerte er, dass es sich um einen Ein bruch gehandelt haben müsse. Er erfand Geschichten von einem herumstreunenden Einbrecher, den er selbst beobachtet haben wollte.
Für Vater Viktor brach eine Welt zusammen. Äußerlich blieb er um Fassung bemüht. So hatte ich ihn kennengelernt und ihn für arrogant und unnahbar gehalten.
Die Polizei wurde eingeschaltet, Detektive, die Roman rund um die Uhr bewachten. So konnte man Roman schließlich nach weisen, dass er nicht davor zurückgeschreckt war, seinen frisch verwitweten Vater zu bestehlen. Das war der absolute Tiefpunkt. Die Stunde null. Und auch der Zeitpunkt, zu dem Roman in mein Leben trat.
In dieser Situation hatte er mich angerufen. In höchster Not, verstoßen von seiner Frau und seinem Vater, ohne Arbeit und Wohnung hatte er mich vom Büro seiner früheren Sekretärin Sabine Stöcker aus angerufen. Jetzt wusste ich auch, warum er sogar bei Rainer um Rückruf gebeten hatte! Das Wasser stand ihm bis zum Hals! Mir blieb das Herz stehen. Ist es nicht so, dass man in höchster Not nach seiner Mutter ruft? Hört man solche Sachen nicht sogar von Soldaten im Krieg?
Ich erinnerte mich noch gut an den Moment, an dem Oliver wieder in mein Leben getreten war! An den Samstag im Juli, als die Amseln sangen und Mutter vom Badezimmerhocker gefallen war! Daran, wie er erst endlos von sich erzählt hatte, ohne nach mir zu fragen. Logisch. Er wollte damals ein positives Bild von sich zeichnen, Vertrauen aufbauen. Wie seriös er sich schilderte! Wie erfolgreich und souverän! Mit welchem Herzklopfen ich mich auf unser Kennenlernen gefreut und wie ich ihn dann plötzlich weggedrückt hatte! War es nicht fast schon verständlich, dass er sich in seiner Verzweiflung von seiner alten Identität verabschiedet hatte, um sich mir als Fitnesstrainer Manni unerkannt zu nähern? Er wollte erst mal abklären, ob ich eine verlässliche Geldquelle war. Um dann in Sonja eine zu finden. Das Fitnesscenter! Wie er an ihre Eitelkeit appelliert hatte, um angeblich Geld für diese Fitness- DVD aufzutreiben! Er sah sich möglicherweise bereits als Firmenpartner! Sogar Vivian hatte er mit hineingezogen.
Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. In was für ein Drama hatte ICH meine Freundinnen mit hineingezogen!
Aber nun war Viktor da. Und plötzlich fühlte ich mich mit der Verantwortung nicht mehr so allein. Wir standen auf diesem dunklen, schmalen Seeweg und schauten uns an.
Viktor nahm seinen Hut ab und raufte sich die Haare. »Alles habe ich falsch gemacht«, sagte er mit bebender Stimme. Der Regen war jetzt stärker, aus dem Nieseln war ein Prasseln geworden. »Ich hätte meinen eigenen Sohn anzeigen und hinter Gitter bringen müssen«, stieß er hervor. »Aber das habe ich nicht übers Herz gebracht.«
Zutiefst beschämt stellte ich fest, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. Frisur und Make-up waren längst dahin.
»Das habe ich ja alles nicht gewusst!«, stammelte ich. Auf einmal fühlte ich mich unglaublich zu diesem Mann hingezogen. Er hatte mein Kind aufgezogen! Was hatte er alles für Oliver auf sich genommen! Und wie sehr hatte mein Kind ihn enttäuscht!
Ich schämte mich.
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