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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Eheversprechen gegeben hatte.)
    »Jetzt macht schon!«, sagte ich nervös, nachdem ich noch einmal nach draußen gespäht hatte. Am Ende des Parkplatzes stand der Oldtimer meines Kindsvaters, welcher im Kamelhaar mantel bei offener Türe darin saß und Pfeife rauchte. Vanillige Wölkchen zogen über den Herbsthimmel.
    Am anderen Ende des Parkplatzes riss Sonja Rainer die Rosen aus der Hand und drückte sie an sich. Ich sah, wie Rainer den Mund auf- und wieder zumachte. Er hatte Ähnlichkeit mit einem Teichkarpfen. Sonja hakte sich bei ihm unter und zog den armen Kerl, der gar nicht wusste, wie ihm geschah, und sich noch mehrmals zu meinem Fenster umsah, zu ihrem schicken Porsche, schubste ihn hinein und raste dann mit heulendem Motor und quietschenden Reifen davon.
    »Puh.« Ich wischte mir den Angstschweiß von der Stirn. »Das ist ja noch mal gut gegangen.«
    »Wie sehe ich aus?«, fragte ich Frau Dünnbügel, die mit mir hinterm Vorhang stand.
    Sie küsste ihre Fingerspitzen und sagte: »Hammer!«
    Das war eine ungewohnte Wortwahl von ihr. Sonja musste auf sie abgefärbt haben.
    Auf den knallroten Stiefeletten mit den ungewohnt hohen Absätzen stolperte ich die Treppe hinunter, schlüpfte noch schnell in meinen Mantel und erreichte um zehn nach sechs halbwegs würdevoll Viktor Stillers Auto. (Also, Auto ist jetzt der falsche Begriff. Luxuskarosse. Wenn ich die Marke wüsste, würde ich sie erwähnen.)
    »Da wäre ich! Hat ein bisschen länger gedauert …«
    Er sprang sofort heraus und knallte die Hacken zusammen.
    »Oh«, entfuhr es ihm. Um seine Mundwinkel zuckte es. »Sie sehen – anders aus.« Er sah mich auf eine Art an, dass mir der Schweiß ausbrach. O Gott. Er hatte meine lächerliche Verkleidung bemerkt!
    »Das ist mein normales Outfit«, log ich und winkte bescheiden ab. »Aber im Dienst, wissen Sie … Da habe ich es lieber bequem.« Ich ließ mich auf den Lederschalensitz fallen und versuchte, mich anzugurten. Wie ging das noch mal bei so einem Oldtimer?! Gespielt beiläufig zerrte ich an dem Ding herum.
    »Darf ich?«
    Er beugte sich über mich und half mir, den störrischen Gurt über mich zu legen. Ich zupfte das Getigerte in Richtung Knie. Die darauffolgende Stille wollte gar kein Ende mehr nehmen. Ich versuchte, mich aufs Atmen zu konzentrieren.
    Endlich. Klick!
    »Ähm. Ist was?« Wahrscheinlich roch ich wie eine ganze Douglas-Filiale. »Warum fahren Sie nicht los?«
    »Ich würde ja gern, weiß aber nicht, wohin ich fahren soll!«
    »Ach so. Ja. Natürlich.« Ich sah ihn von der Seite an. »Sie möchten reden.«
    Er nickte. »Ja.«
    »Möchten Sie dabei sitzen, stehen oder gehen?«
    »Am See entlang?«, fragte er erwartungsvoll.
    »Wir können auch die Schnellstraße entlanggehen«, erwiderte ich eine Spur zu spöttisch.
    »Sie ahnen ja nicht, wie es mich nach Bewegung dürstet«, sagte Viktor Stiller. »Nach der langen Autofahrt!«
    Ich jubelte innerlich. Er war also tatsächlich meinetwegen gekommen. Und er ging gern spazieren. Und so kam es, dass wir zehn Minuten später genau jenen Weg nahmen, auf dem ich sonst immer mit Rainer Mutter im Rollstuhl schob. Leider hatte ich vergessen, dass ich inzwischen nicht mehr die praktischen Allwettertreter trug, sondern Sonjas hochhackiges knallrotes Schuhwerk. Verdammt! Das war die Strafe für meinen Hoch mut! Mit zusammengebissenen Zähnen trippelte ich tapfer neben ihm her. Es dämmerte bereits, und dunkle Wolken ballten sich über den Bergketten am Horizont. Eigentlich liebte ich es, bei dieser Herbststimmung draußen zu sein: Flauschiger Mantel, Kapuze, dicke Stiefel, Handschuhe. Würzig-frische Luft, weit ausholende Schritte, die Körper und Seele erwärmen, klare Gedanken. Doch jetzt dachte ich nur an meine künstlich aufgebauschte Frisur, die quälenden Stiefeletten und Bammelohrringe, die bei jedem Schritt leise klirrten. Warum hatte ich mich nur so dämlich verkleidet? Warum war ich nicht einfach ich?
    Sprühregen, nasskalter Wind. Automatisch vergrub ich die Hände in den Manteltaschen, so wie ich es immer in Rainers Beisein tat. Bis mir plötzlich bewusst wurde, dass dieser Mann nie im Leben auf die Idee kommen würde, meine Hand zu nehmen. Der hatte gar kein Interesse daran!
    »Also«, sagte ich und machte ein paar schmerzhafte Trip pelschritte, um nicht zurückzufallen. »Sie wollten über Roman reden.«
    »Ich muss mich erst mal für mein Verhalten von neulich entschuldigen. Silke hat mir inzwischen erzählt, was für eine patente, nette

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