Verwechseljahre: Roman (German Edition)
für die Carin!«
Ich saß dann da, schaute ihm beim Essen zu, organisierte Getränke für den ganzen Tisch und sah zu, wie unsere kostbare Zeit verstrich. Sieben leer gegessene Tellerchen gähnten mich an, und ich kam mir vor wie Schneewittchen, wenn sich die Zwerge wieder an die Arbeit machten:
»Auf geht’s zur zweiten Runde!«
»Tschüs, Carin, mach dir einen netten Nachmittag!«
Ich schluckte schwer, zwang mich, freundlich zu lächeln und ihnen ein gutes Spiel zu wünschen. Na toll. Was für ein Mutter- Sohn-Urlaub!
»Ich hoffe nicht, dass du dich langweilst«, sagte Roman eines Abends beiläufig, als er aus der Dusche kam. Er hatte ein Handtuch um die Lenden gewickelt, und ich durfte kurz seinen perfekten Körper bestaunen. Sein Haar glänzte nass, und er duftete nach einem herben Männershampoo. Klar, dass Vivian total auf ihn abgefahren war. Er war ein Mann. Aber für mich ein wildfremder Mann.
»Das nicht, aber ich hatte schon gehofft, dass wir etwas mehr Zeit füreinander haben werden.«
»Du kannst gerne mitkommen, Carin. Meine Jungs finden dich echt prima.« Er klopfte mir auf die Schulter: »Ich bin stolz auf dich!«
Das war nett gemeint, und ein kleines bisschen Hoffnung keimte in meinem verletzten Mutterherzen auf. Wenn ich erst mal die endlosen Weiten des Golfplatzes mit ihm durchwanderte, würden schon Gespräche in Gang kommen.
Inzwischen hatte ich nämlich auch erfahren, dass man Golf spielt, um den wahren Charakter eines Menschen kennenzulernen. (Und um Geschäftskontakte zu knüpfen.)
»Beim Golf erkennst du sofort, wie dein Spielpartner tickt«, hatte Gregor mir mit gewichtiger Miene erklärt.
Also hängte ich mich in den nächsten zwei Tagen an den »Männerflight« und lief hinter den Kerlen her wie Falschgeld. Roman hatte mir schnell die wichtigsten Verhaltensregeln erklärt: Niemals vor den Spielern hergehen, immer hinter dem letzten bleiben, und zwar mit gebührendem Abstand, sonst kriegt man den Ball oder den Schläger an den Kopf. Niemals Beifall klatschen oder Bravo rufen, das stört die Konzentration. Keine Spuren hinterlassen, besonders nicht im Bunker. Beim Abschlag in sicherer Entfernung bleiben, fürs Einlochen galt dasselbe. Am besten, man machte sich unsichtbar. Bloß keine peinlichen Fragen stellen, von wegen: Warum ärgern sich alle so, dass sie mit den Schlägern aufs Gras eindreschen? Ich dachte, das Spiel soll Spaß machen? Und dafür zahlt ihr so viel Geld? Beziehungs weise ICH?
Nicht ärgern, Carin!, beschwor ich mich. Genieß die schöne Landschaft, die frische Luft und die Nähe deines Sohnes. Es reicht ja, wenn du ihn von hinten siehst. So ist er. Das ist sein Leben.
Nach dem ersten vierstündigen Durchgang hatte ich gelernt, mich nützlich zu machen: Ich betätigte die Harke im Bunker, um die Spuren der Spieler zu beseitigen, und die Fahne am Loch, indem ich sie schweigend herauszog und hielt, bis auch der Letzte fluchend eingelocht hatte.
»Deine Mutter ist echt nett.«
»Ein prima Caddy.«
Am vierten Tag blieb ich wieder im Bett. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern nur gegrübelt. Sollte ich mir das weiterhin gefallen lassen? Aber was würde es bringen, ihm eine Szene zu machen, auf Zweisamkeit zu beharren, wenn er sie nicht wünschte? Beziehungsweise sie mied wie die Pest?
Ich arrangierte mich. Tagsüber unternahm ich lange Strandspaziergänge, besuchte sogar das clubeigene Fitnesscenter, wo mich eine unglaubliche Sehnsucht nach meinen Mädels überkam. Ich versuchte zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren. Jetzt hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und merkte: Ich wollte nach Hause! Auch wenn es dort einsam und leer sein würde, kalt und dunkel. Wenn ich es recht bedachte, hatte ich mich noch nie so einsam und leer gefühlt wie hier mit meinem Sohn. Trotzdem zwang ich mich, jedes Selbstmitleid im Keim zu ersticken. Wie hätte Mutter gesagt? Kind, lass dich bloß nicht hängen. Fall nicht in ein Loch wie so ein Golfball, denn da kommst du aus eigener Kraft nicht mehr raus. Reiß dich zusammen. Jetzt bist du halt in so einem Club gelandet, also nutz die Angebote! Los! Hintern hoch! Sie war mir präsenter als Roman, und mit ihr war ich ständig im vertrauten Zwiegespräch. Auf der Suche nach Zerstreuung schlenderte ich am schwarzen Brett vorbei, um zu schauen, ob es nicht irgendein Angebot für Nichtgolfer gab.
Außer der Aufforderung, beim Musical Ich war noch niemals in New York mit den größten Hits von Udo Jürgens
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