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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sich, holten ihn wieder raus und gingen weiter. Entweder kopfschüttelnd oder lächelnd. Das war’s! Wie konnte man so was im Fernsehen senden? Ich versuchte, nicht den Kopf zu schütteln.
    »Was darf ich dir bestellen, Carin?«
    Ich zuckte zusammen. Ein hübscher blonder Kerl strahlte mich mit weißen Zähnen an.
    »Ich bin Gregor.«
    »Hallo, Gregor.« Ich schluckte. Wäre das doch Roman gewesen, der sich so aufmerksam um mich kümmerte! Gregor besorgte mir ein Glas Weißwein und versuchte höflich, Small Talk zu machen. Er war ein selbstbewusster junger Mann aus Mann heim, der BWL studierte. Den Bachelor habe er schon, jetzt mache er noch den Master.
    »Welches Handicap hast du denn?«, fragte Gregor.
    Lachend gab ich zu, dass ich nichts von Golf verstand. »Mir erschließt sich der Reiz dieses Sportes nicht«, sagte ich und nahm einen Schluck Wein. Ich zeigte auf den Fernseher. »Was ist daran so weltbewegend?«
    »Golf ist eine Philosophie«, sagte Gregor.
    »Aha.«
    »Man lernt Demut.«
    Demut. Soso. Das hatte bei meinem Sohn offensichtlich noch nicht funktioniert.
    »Aber die lernt man auch, wenn man seine alte Mutter pflegt«, versuchte ich das Gespräch in Gang zu halten. »Gebiss putzen, Windeln wechseln, Bein verbinden, Rollstuhl schieben, das ganze Programm.«
    »Sehr witzig«, bemerkte Gregor und schaute fasziniert auf den Großbildschirm. Gerade bückte sich wieder jemand, klaubte den Ball aus dem Loch und grinste freudig, weil die Leute um ihn herum klatschten. So richtig demütig wirkte der nicht.
    »Oder wenn man das dunkelhäutige Kind seiner minderjährigen Tochter in einer bayrischen Kleinstadt aufzieht!« So schnell gab ich nicht auf.
    Gregor lachte. »Ist dir das passiert?«
    »Nein, aber einer Freundin.« Ich rückte ein Stück näher.
    Gregor starrte wieder auf den Bildschirm. Der Demütige ging hocherhobenen Hauptes zum nächsten Abschlag, während ihm jemand den Golfsack trug.
    »Oder wenn man versucht, es einer anderen Freundin nicht gleichzutun, die sich Botox spritzen lässt, um den Anblick der eigenen Tochter noch ertragen zu können!«
    Gregor schlug Roman auf die Schulter.
    »Deine Mutter ist ja voll witzig!«
    »Echt?«, sagte Roman. Und dann: »Das hat sie von mir.«
    Neben Gregor kam ich dann auch beim Abendessen zu sitzen. Leider nicht neben Roman. Gregor war zwar sehr nett und höflich, aber was sollte ich mit ihm? Ich wollte Roman kennenlernen, nicht Gregor! Außerdem war es ziemlich eng, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Irgendjemand stand immer auf, warf seine Serviette von sich, quetschte sich durch die Stuhlreihen und mit Tellern und Gläsern beladenen Gäste, um zum Buffet und wieder zurückzugelangen. Währenddessen kamen übereifrige Abräumer und rissen an sich, was nicht gerade vor irgendjemandes Brust stand. Ich klammerte mich an meinen Teller. Alle unterhielten sich laut über meinen Kopf hinweg. Ich stocherte in meinem Essen herum und hatte keinen Appetit. Ich fand das Ganze – gewöhnungsbedürftig. Bestimmt war diese lockere Atmosphäre furchtbar nett für Familien und größere Gruppen. Für Golffanatiker sowieso. Aber für Mutter und Sohn, die sich endlich in Ruhe kennenlernen wollten, war das nicht das Richtige. Aber genau das wollte Roman um jeden Preis vermeiden!, schoss es mir durch den Kopf. Mein Blick fiel auf meinen Sohn, der sich lachend mit einem Glas in der Hand mit seinen Nebenmännern unterhielt. Er wollte hier Spaß haben. Aber nicht mit mir über sein Leben reden. Und erst recht nicht zuhören. Das war mit Sicherheit nicht seine Stärke. Und das war in meinen Augen sein wahres Handicap.

27
    D ie Woche zog sich endlos lang hin. Jeden Morgen um sechs hörte ich, wie die Tür unseres Bungalows zufiel. Denn dann schlich Roman bereits hinaus, um Abschläge zu üben oder »ein bisschen zu putten und zu chippen«. Schließlich sei das hier ein teurer Golfurlaub, und da wolle er nichts verpassen. Er schien mir um keinen Preis privat begegnen zu wollen. Um sieben war er dann mit seiner Truppe zum Frühstück verabredet. Ich durfte mich gern dazugesellen, aber um acht war Abschlag. Dann zog Roman vier Stunden lang über den Golfplatz. Zwischen zwölf und eins tauchte mein Herr Sohn am Mittagsbuffet auf, natürlich wieder in einem Pulk von Golfern. Wenn er mich wahrnahm, lächelte er mir zu und klopfte auf einen Stuhl neben sich.
    »Lasst mal meine Mutter her«, sagte er dann gönnerhaft. »Rutsch mal eins weiter«, oder »Heb mal deinen Arsch

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