Verwechseljahre: Roman (German Edition)
nicht auf die Uhr schielen«, drohte ich zynisch. Und dann erzählte ich Markus die ganze Geschichte. Es war unglaublich, was für ein Redebedürfnis ich hatte! Natürlich erzählte ich nichts von der Spielsucht. Nur dass wir uns nach dreißig Jahren wiedergefunden und uns nichts zu sagen hatten. Und dass ich meinem Sohn jetzt einen Urlaub bezahlte, den er mit anderen Leuten verbrachte. Mir stiegen Tränen in die Augen.
»Also, wenn ich das richtig verstehe …«, sagte Markus und löf felte den letzten Rest Milchschaum vom Tassengrund, »… habt ihr einen gemeinsamen Urlaub gebucht, um zueinanderzufinden.«
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mein Gesicht der Sonne zu. »Ich jedenfalls schon.«
»Also meiner Erfahrung nach«, sagte Markus, »klappt so was nicht. Ich erlebe hier ja viele Ehepaare, die zusammen Urlaub machen, um wieder zueinanderzufinden.« Er stellte die Tasse ab und schob entspannt die Füße von sich. Er hatte lange, muskulöse, braun gebrannte Beine mit blonden Härchen drauf. Ein erfreulicher Anblick. »Im Urlaub werden die Probleme höchstens größer, nicht kleiner.«
Ich nahm meine Sonnenbrille ab und sah ihn an. Er hatte total recht! Da musste doch tatsächlich erst ein rastagelockter Bursche mit Mountainbike daherkommen, um mir die Wahrheit zu sagen. Wir hätten auch in Butterblum bleiben können. Wir hätten gemeinsam die Wohnung renovieren sollen, mit Vivian reden, nach Hamburg zu Silke fahren oder sonst was Sinnvolles tun können.
Dann hätte Roman wenigstens meine Sicht der Dinge und MEIN Leben kennengelernt. Aber das war bestimmt das Letzte, was ihn interessierte. Er schob seine Probleme vor sich her und stürzte sich wie immer in Ablenkungen. Der Urlaub war reine Zeit- und Geldverschwendung! Er war Augenwischerei, mehr nicht.
»Entweder es passt, oder es passt nicht«, sagte Markus weise.
Entsetzt starrte ich ihn an. Konnte es denn mit dem eigenen Fleisch und Blut nicht passen?
»Was würdest du an meiner Stelle tun?«, hörte ich mich verunsichert fragen.
Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht zusammen zum Psy chologen gehen oder so. Familienaufstellung. Was weiß denn ich.«
Carin, hörte ich meine Mutter sagen, lass den armen Jungen zufrieden!
Ich zahlte, und dann schlenderten wir noch ein bisschen durch die Abendsonne. Markus zeigte mir ein paar Wehrtürme, Wappen und Dächer, die er wahrscheinlich jedem Urlauber präsentierte. Einige verwaiste Storchennester waren auch eine Erwähnung wert. Auf meine Bitte hin knipste er mich, und ich knipste ihn. Zwei leere Storchennester und zwei einsame Menschen. Wie symbolisch! Obwohl ich das Städtchen und den Burschen reizend fand, konnte ich mich nicht wirklich freuen. Viel zu sehr schmerzte mich die Erkenntnis, dass ich diesem jungen Mann näher war als meinem eigenen Sohn. Und dass dieser Nachmittag der erste war, an dem ich die Algarve genossen hatte.
Als ich an diesem Abend in den leeren Bungalow zurückkam, sah ich auf dem Handy, dass Billi angerufen hatte. Trost su chend rief ich sofort zurück.
»Wie geht’s mit Roman?«, fragte sie. »Seid ihr euch nähergekommen?«
»Er weicht jedem Gespräch aus«, sagte ich traurig. »Dafür habe ich gerade einen zauberhaften Nachmittag mit einem wildfremden jungen Mann verbracht, dem ich zum Dank einen Fünfziger zugesteckt habe!«
Billi lachte. »Das ist ja wohl nicht im Sinne des Erfinders.«
»Ich kann Roman doch nicht dazu zwingen, mit mir zu reden!«
»Ich finde schon!«, sagte Billi. »Versuch es. Gib nicht auf. Noch habt ihr ja drei Tage!«
»Wie geht es mit der Austauschschülerin?«, fragte ich, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Rikki kann sie nicht ausstehen«, erwiderte Billi. »Sie hat Pickel, an denen sie ständig rumfummelt. Mit der hatte ICH einen zauberhaften Nachmittag!«
»Nein!«, rief ich aus. Ich hörte Mohair im Hintergrund brabbeln.
»Du sagst es, Carin. Jetzt hab ich das nicht Deutsch sprechende Mädel auch noch an der Backe.«
»Wie? Du fliegst extra eine Argentinierin ein, damit deine Tochter ihr Spanisch perfektioniert, und jetzt kümmert sie sich nicht um sie?«
»Nein. Sie hat solche Hormonschwankungen, da sind unsere Wechseljahre ein Scheißdreck dagegen! Weißt du, sie stillt gerade ab. Da ist sie ziemlich aggressiv.«
»Ja, aber …«
»Sie hat einen neuen Freund. Einen amerikanischen Au-pair-Jungen aus der Nachbarschaft. Der hat es angeblich mit seinen Gasteltern blöd getroffen, und weil ich ja viel cooler bin als die, hat sie
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