Verwechseljahre: Roman (German Edition)
dann lieber schön mit Rainer auf dem Elektrofahrrad um den See, oder was? Gab es denn kein Mittelding? Plötzlich wurde mir bewusst, dass Markus schon die ganze Zeit redete. Er erklärte mir die Handhabung eines Rennrades! Ich hatte kein einziges Wort mitbekommen. »Gepäckträger gibt es wohl keinen?« Ich wies auf meine Handtasche.
»Nee, also so, wie du ausgestattet bist, lassen wir das mal lieber.«
»Ich WILL aber Rennrad fahren!«, beharrte ich. Bitte schick mich nicht wieder zurück an den tosenden Atlantik, hoch auf die felsigen Klippen, und überlass mich nicht meinen düsteren Gedanken! Heute wäre ein guter Tag, um zu springen!
»Wir könnten ein bisschen mit dem Mountainbike rumrutschen«, sagte Markus.
»Rumrutschen?« Ich sah ihm fest in die Augen.
»Ja, rauf zum Vulkan oder runter zu den Wasserfällen.«
Oh. Das hörte sich alles entsetzlich an. »Und einfach nur nett in der Gegend rumradeln?«, schlug ich vor.
Markus schaute wieder auf die Uhr. Leider war es erst zwölf nach zwei. Bis zum Abend war es noch lang.
Ich weiß nicht, wer sich elender fühlte bei dem Gedanken, jetzt miteinander in der Gegend rumradeln zu müssen: Markus oder ich. Doch er war Profi genug, sofort ein Mountainbike aus seinem Schuppen zu holen, meine Handtasche in einen Rucksack zu stopfen und diesen zu schultern.
»Also los!«, sagte er aufmunternd, vermutlich mehr zu sich selbst. Er gab mir noch einen Helm, zurrte ihn mir unter dem Kinn fest und erklärte mir, dass es keine Rücktrittbremse gab.
»Kommst du mit den Gängen klar?«
»Bestimmt!«, sagte ich zuversichtlich.
»Lieber die rechte Handbremse benutzen, nur im Notfall die linke, sonst fliegst du über den Lenker und legst dich hin.«
»Nee, ist klar.«
Was tat ich hier eigentlich? Nicht darüber nachdenken, Carin!, hörte ich meine Mutter sagen. Es ist so, wie es ist. Mach das Beste draus. Du hast Roman vor dreißig Jahren abgegeben und kannst nicht erwarten, dass er jetzt wie eine Klette an dir klebt und ständig Händchen halten will.
Nein, dachte ich resigniert. Das tut nur Rainer. Könnte man die beiden nicht vertauschen? (Warum habe ich nicht Rainer zur Adoption freigegeben? Hm? Kann mir das mal einer sagen?)
Mutter ließ nicht locker: Guck dir die wilde Landschaft der Algarve an und genieß den Augenblick. Wenn eine Tür zufällt, öffnet sich ein Fenster. Ein junger Mann ist so gut wie der andere.
Aber Mutter, du weißt doch, dass das nicht stimmt!
Vielleicht zahlt er dir auf diese Weise heim, was du ihm angetan hast! Er liefert dich fremden Söhnen aus! Also, nimm diesen Markus!
Und so radelte ich mit äußerst gemischten Gefühlen hinter diesem Rastaman her. Ob er genauso viel Heimweh nach seiner Mutter hatte wie ich?
Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit fand ich das Radeln einfach wunderbar. Ein laues Lüftchen umwehte meine nackten Arme, das In-die-Pedale-Treten wärmte mich von innen, die Farben und Düfte schmeichelten meiner Seele. Die Gegend war wirklich zauberhaft. Nachdem wir etwa zwei Stunden an Orangenhainen, Olivenbäumen und weiß getünchten Häusern vorbeigeradelt waren, hielt Markus in einem mittelalterlichen Städtchen, nahm den Helm ab, schüttelte die Rastalocken und sagte: »Kaffeepause.«
Auch ich nahm meinen Helm ab, aber haartechnisch gab es nichts zu schütteln. Also strich ich nur verschwitzte Strähnen hinters Ohr. Wir setzten uns in ein Straßencafé in die schräg stehende Nachmittagssonne und ließen uns knuspriges Gebäck und einen Milchkaffee bringen.
»Bist du allein hier?«, fragte Markus und leckte sich den Milchschaum vom Oberlippenbärtchen.
»Offiziell nicht, in Wirklichkeit schon.«
»Ehekrach?«, fragte Markus und stellte die Tasse ab.
»Ich bin mit meinem Sohn hier.«
Ein mitleidiger Ausdruck huschte über Markus’ Gesicht.
»Und der mag nicht mit dir Rad fahren?«
»Nein, tut mir leid.« Ich presste die Lippen aufeinander. »Dafür musst du herhalten.«
Markus grinste. »Ist ja mein Job.«
Bei dieser Bemerkung spürte ich einen schmerzhaften Stich. »Danke«, sagte ich. »Das baut mich auf.«
»Nicht, dass mir das nicht Spaß macht mit dir!«, beteuerte Markus schnell und schaute dabei unauffällig auf die Uhr.
»Du musst nicht lügen«, sagte ich. Ich merkte, wie sich mir der Hals zuschnürte. Meine Finger zitterten leicht, und ich richtete ein Fußbad auf der Untertasse an.
Markus reichte mir schweigend eine kleine Papierserviette aus dem Spender.
»Ich höre gerne zu.«
»Aber
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