Verwechslungsspiel in Griechenland
Ihre rechte Handfläche prickelte, wie um Ria daran zu erinnern, dass sie es tatsächlich gewagt hatte, diesen Tyrannen aus Eis zu ohrfeigen.
“Alles vergessen? Merkwürdig, zu dem Zeitpunkt schienst du noch bei ganz klarem Verstand zu sein.”
Beschämt senkte sie den Kopf, sodass ihr dichtes silberblondes Haar ihr Gesicht verbarg.
“Na, mach dir nichts daraus.” Anscheinend hatte er plötzlich genug von dem Spiel. “Bei mir hat die Reise auch keinen tiefen Eindruck hinterlassen.”
Christina sah von ihrem Bruder zu Ria. Sie schien die Spannung zwischen ihnen zu spüren.
In diesem Moment klopfte jemand schüchtern an die halb geöffnete Tür, und eine ältere, zierliche Frau trat ein. Sie trug ein Tablett, auf dem Brötchen, verschiedene Sorten Marmelade, frisch gepresster Orangensaft und Kaffee waren.
“Das ist unsere Haushälterin Rosa”, stellte Christina sie vor. Rosa lächelte Ria schüchtern zu, stellte das Tablett auf einem Tisch ab und huschte wie ein erschrecktes Kaninchen wieder hinaus.
“Sie fürchtet sich vor Dimitrios”, erklärte Christina entschuldigend. Dimitrios sah Ria über Christinas Schulter hinweg an, nickte ihr spöttisch zu, wandte sich ab und schnippte mit den Fingern, woraufhin ihm die Hunde zur Tür folgten.
“Wie merkwürdig”, meinte Ria trocken.
Christina schaute sie noch einmal durchdringend an. Dann ging sie ebenfalls zur Tür, wobei sie sich schwer auf einen Spazierstock stützte. “Bis später, meine Liebe. Bitte fühl dich bei uns wie zu Hause. Wir werden alles tun, damit es dir bei uns gefällt.”
Erst nachdem beide gegangen waren, merkte Ria, wie hungrig sie war. Sie aß alles, was Rosa ihr gebracht hatte, stand dann auf und sah sich im Zimmer um. Der Boden war mit einem weichen cremefarbenen Teppich bedeckt. Hinter einer Schiebetür entdeckte sie ein kleines Badezimmer, dessen eine Wand ein riesiger begehbarer Wandschrank einnahm. Darin hingen einsam Rias wenige Kleidungsstücke.
Sie kehrte ins Zimmer zurück, schob die Gardine vor der Glastür beiseite und trat auf den kleinen Balkon hinaus. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, hielt sie staunend den Atem an.
Das Haus stand auf der Spitze eines Hügels, der direkt vor ihr steil zu einem kleinen, malerischen, verschlafen wirkenden Hafen abfiel. Dahinter klebten strahlend weiße Häuser an den felsigen Berghängen. Das Meer leuchtete türkisgrün, und darüber wölbte sich der wolkenlose Himmel. Links vom Hafen führte ein Mann einen beladenen Esel über einen steilen, verschlungenen Pfad auf ein kleines Dorf zu, wie seine Vorfahren es schon vor Jahrhunderten getan hatten.
“Ich kann es kaum glauben!”, flüsterte Ria vor sich hin. Barfuß ging sie über die sonnendurchwärmten Marmorfliesen zur Balkonbrüstung und lehnte sich darüber. Unter ihr erstreckte sich ein terrassenförmig angelegter Garten, in dem duftende Sträucher, exotische Blumen und Obstbäume um die Wette blühten. Hier und da standen niedrige Holztische und Stühle im Schatten der Bäume, und genau unter dem Balkon sonnten sich drei Katzen auf einer Steinveranda.
“Ein schöner Anblick”, hörte Ria plötzlich Dimitrios langsam sagen. Er stand dicht an der Mauer, die den Garten einfasste. Schlagartig wurde Ria bewusst, dass sie praktisch nichts an hatte. Als sie erschrocken zurückfuhr, lachte er leise auf. Fluchtartig verschwand sie nach drinnen. Sein spöttischer Tonfall hatte ihr einen Stich versetzt. Alles, was sie tat, schien ihn in seiner Meinung über sie zu bestärken.
Beim Duschen musste sie daran denken, wie verzweifelt Poppy sich am Telefon angehört hatte. Zwischen ihr und Dimitrios’ Neffen musste mehr sein als eine flüchtige Affäre. Schuldbewusst fiel Ria ein, dass sie Christina gegenüber Nikos überhaupt nicht erwähnt hatte. Eine liebende Braut benahm sich anders! “Es ist aussichtslos!”, sagte sie bedrückt vor sich hin.
Sie wusch sich das Haar mit dem köstlich duftenden Shampoo, das sie im Bad gefunden hatte, wickelte sich in eins der großen flauschigen Badetücher und setzte sich auf den Balkon in die Sonne. Das lange dichte Haar lag ihr feucht in silbrig glänzenden Strähnen um die Schultern.
Die Luft war warm und erfüllt von hundert verschiedenen Düften. Sie schloss die Augen, weil das grelle Sonnenlicht sie blendete, entspannte sich langsam und fühlte sich wie in einer friedvollen Oase inmitten einer feindlichen Welt.
Der drohende Schatten war jetzt dicht hinter Ria. Sie durfte sich nicht
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