Verwechslungsspiel in Griechenland
ihrem Zimmer Make-up auflegte, klopfte es plötzlich an der Tür, und Rias Herz begann wie wild zu schlagen.
“Herein!”, rief sie.
Zu ihrer Erleichterung betrat Christina das Zimmer. Langsam und gebeugt kam sie auf Ria zu, die vor dem großen Toilettentisch aus Marmor saß.
“Ich bin leider keine gute Gastgeberin, meine Liebe”, begann Christina entschuldigend. “Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.”
“Das macht doch nichts!”, erwiderte Ria warm, sprang auf, schob den Sessel heran, der neben dem Bett stand, und half Christina beim Setzen. “Ich erwarte nicht, dass du ständig für mich da bist.”
“Hat Dimitrios sich um dich gekümmert?” Bei der Frage sah Christina sie durchdringend an, und als Ria errötete, beugte sie sich langsam im Sessel vor.
“Ich denke, ich muss dir etwas über unsere Familie erzählen, meine Liebe, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Normalerweise rede ich nicht über unsere Privatangelegenheiten, deshalb musst du Geduld haben, falls ich etwas zusammenhanglos berichten sollte.”
“Bitte, Christina, es ist nicht notwendig …” Ria verstummte, weil Christina leicht den Kopf schüttelte.
“Du wirst dann vieles besser verstehen.” Schwer atmend lehnte sie sich im Sessel zurück. “Ich habe bemerkt, dass du nicht gut mit meinem Bruder auskommst, Poppy. Ist er dir gegenüber feindselig eingestellt?”
Betroffen sah Ria auf. Offenbar war Christina nicht viel entgangen.
“Um dir sein Verhalten begreiflich zu machen, muss ich viele Jahre zurückgreifen. Unsere Mutter war Engländerin. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass Englisch unsere zweite Muttersprache ist?”
Ria nickte. Das erklärte auch, warum sowohl Christina als auch Dimitrios blaue Augen hatten.
“Unsere Mutter ist bei Dimitrios’ Geburt gestorben. Ich war damals schon zwanzig und jung verheiratet. Nachdem ich zur Welt gekommen war, hatte meine Mutter mehrere Fehlgeburten gehabt, und die Ärzte hatten ihr von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten. Da mein Vater aber unbedingt einen Sohn wollte, hat sie es trotzdem weiter versucht.” Christina verstummte, und ihre Stimme wurde hart. “Mein Vater konnte sehr arrogant sein. Zunächst wurde Dimitrios von einem Kindermädchen betreut, doch nachdem mein Vater bei einem Reitunfall ums Leben gekommen war, nahmen mein Mann und ich Dimitrios zu uns. Er war damals neun Monate alt. Da mein Bruder das Recht hatte, im Haus seines Vaters aufzuwachsen, haben wir unser Haus verkauft und sind hierher gezogen. Mein Mann war sehr gutherzig.” Nachdenklich berührte sie den goldenen Ehering an ihrer Hand.
“Mit dem Kinderkriegen hatte ich ähnliche Schwierigkeiten wie meine Mutter, und lange Zeit sah es so aus, als würde Dimitrios das einzige Kind in diesem Haus bleiben. Erst als er fünfzehn war, wurde Nikos geboren. Es war eine wundervolle Zeit.” Bei der Erinnerung daran leuchtete ihr Gesicht auf, und einen Moment glaubte Ria, die Christina von damals vor sich zu sehen: eine glückliche, zufriedene, liebende Frau.
“Meine Mutter hatte eine jüngere Schwester in England, deren Tochter im gleichen Alter wie Dimitrios ist. Einmal, Nikos war gerade sieben Jahre alt, hat das Mädchen uns im Sommer besucht. Sie hat sich sehr gut mit Dimitrios verstanden.” Mit bebender Stimme fuhr Christina fort: “Ich werde mir immer Vorwürfe machen, dass ich nicht früher gemerkt habe, was vorging. Damals waren Andreas – mein Mann – und ich sehr mit dem Familienunternehmen beschäftigt, und Nikos brauchte auch viel Zuwendung, aber ich hätte es trotzdem sehen müssen. Als Andreas und ich eines Abends früher als angekündigt nach Hause kamen, fanden wir die beiden … Wie soll ich es sagen? Sie waren wie Mann und Frau zusammen.”
Ria war es, als hätte ihr jemand einen Schlag in den Magen versetzt. Zum ersten Mal im Leben war sie eifersüchtig. Was ist los mit mir?, dachte sie verzweifelt. Natürlich hat es Frauen in seinem Leben gegeben. Das hat er mir praktisch selbst gesagt! Und er bedeutet mir doch gar nichts! Aber tief in ihrem Innern meldete sich eine andere Stimme zu Wort. Belüg dich nicht, flüsterte sie. Du liebst ihn.
“Für meinen Mann war es ein schwerer Schock”, fuhr Christina fort, ohne zu bemerken, wie tief ihre Worte Ria ins Herz getroffen hatten. “Es ist nicht recht, dass so etwas vor der Hochzeit geschieht. Und dann noch mit der eigenen Cousine! Einer jungen Frau, die als Gast in unserem Haus wohnte, für deren
Weitere Kostenlose Bücher