Verwesung
stockte mir der Atem.
Ein Schatten bewegte sich nicht. Es war eine stockdunkle Ecke, hoch oben, wo die Felsen die Decke berührten. Ich hob einen Stein auf und warf ihn hinauf. Anstatt klappernd abzuprallen, verschwand er geräuschlos.
Das war kein Schatten, sondern ein Loch.
Jetzt verstand ich. Da der Mineneingang verriegelt und der Hauptschacht seit Ewigkeiten versperrt war, wusste wahrscheinlich niemand, dass es dahinter weiterging. Solange das Tor mit einem Schloss versehen war, konnte sich Monk dort unentdeckt aufhalten.
Aber was lag auf der anderen Seite?
Ich rüttelte an einem Stein. Er rührte sich nicht. Auch die anderen nicht. Vorsichtig stemmte ich mich hoch. Als ich meinen Arm ausstreckte und mit der Hand wieder nach Halt suchte, gab unter meinem Fuß etwas nach.
Ein lautes Krachen ertönte.
Ich erstarrte. Als nichts geschah, leuchtete ich mit der Taschenlampe nach unten. Einer der Balken, die aus den Felsen ragten, war geborsten.
Gott.
Ich wartete einen Moment, bis sich mein Herzschlag wieder normalisiert hatte, und kletterte dann weiter hoch, trotz der Kälte schwitzte ich. Jetzt konnte ich sehen, wodurch das Loch entstanden war. Eine Granitplatte war gebrochen und hatte eine Spalte hoch oben in der Ecke zwischen Decke und Wand erzeugt. Von unten war die glatte, vielleicht einen Meter breite und einen halben Meter hohe Öffnung kaum zu erkennen.
Das Loch dehnte sich ein paar Meter aus, dann verlor sich der Strahl meiner Lampe in der Dunkelheit. Es war breit genug, um durchzukriechen, aber nicht, um sich zu drehen. Wenn ich zurückwollte, musste ich mich mit den Füßen voran rückwärts herauswinden.
Und ich betete, dass ich nicht stecken blieb.
Ich legte meine Stirn auf den Rand des Lochs. Der Granit fühlte sich körnig und kalt an.
Ich kann das nicht.
Ich musste an das Gewicht uralter Felsen denken, die sich nur Zentimeterüber meinem Kopf wölbten. Die Decke war schon einmal eingestürzt. Selbst wenn ich nicht zermalmt werden würde, hatte ich keine Ahnung, was mich auf der anderen Seite erwartete. Und wenn ich hindurchkroch, käme ich vielleicht nie mehr zurück.
Es ist an der Zeit, die Polizei zu informieren. Dann kann ein qualifiziertes Suchteam losgeschickt werden.
Ein feiger Teil in mir flüsterte mir ein, dass dies das Beste wäre. Niemand würde es mir verübeln. Ich wusste ja nicht einmal mit Sicherheit, ob Monk Sophie hierhergebracht hatte. Und selbst wenn, was konnte ich schon bewirken? Es wäre nur vernünftig gewesen, zurückzugehen und Hilfe zu holen.
Und was wird dann aus Sophie? Was geschieht jetzt mit ihr, während du hier herumtrödelst?
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, stemmte ich mich in das Loch. Der raue Granit kratzte an meinen Händen wie Sandpapier, und die Kälte der Felsen drang durch meine Kleidung. Aber das Loch war breiter, als ich gedacht hatte, sonst wäre Monk ja auch nicht hindurchgekommen.
Falls er überhaupt hier ist. Noch hast du keine Gewissheit.
Doch nun hatte ich mich entschieden. Während ich versuchte, die Taschenlampe nach vorn zu richten, kroch ich mit gesenktem Kopf durch den dunklen Felsschlund. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, ehe ich das andere Ende erreicht hatte. Mein Atem klang unnatürlich laut, als ich mit der Taschenlampe in die Dunkelheit leuchtete.
Ich war am oberen Rand einer langen, niedrigen Höhle herausgekommen. An einer Seite senkte sie sich ab und endete an einem Abgrund, von wo ich das Gluckern fließenden Wassers hörte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies hier ein Teil der Mine war. Eher eine horizontale Spalte im Fels,zudem kaum hoch genug, um sich aufzurichten.
Du wolltest sehen, was hinter dem Felshaufen ist. Jetzt weißt du es.
Aus dem Loch zu kommen, war schwierig. Ich musste mich erst mit dem Kopf voran herauswinden, ehe ich mich umdrehen und meine Beine hinablassen konnte. Meine Stiefel schabten über Felsen, dann ließ ich mich auf den abschüssigen Boden fallen. Wegen der niedrigen Decke musste ich mich bücken und sah erst jetzt das ganze Ausmaß der Höhle, die sich weit jenseits des Lichtstrahls ausdehnte.
«Sophie!»
, rief ich.
«SOPHIE!»
Mein Ruf verhallte. Das einzige Geräusch war das Plätschern des unterirdischen Wasserlaufs, der in der Finsternis verborgen war. Ich richtete die Taschenlampe in die Dunkelheit am anderen Ende und ging tief gebückt los.
Lucas hatte gesagt, dass es in diesem Teil des Dartmoors keine Höhlensysteme geben würde. Dennoch war dies offensichtlich eine
Weitere Kostenlose Bücher