Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verwesung

Verwesung

Titel: Verwesung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
Vom Netzwerk:
letzten Meter schlitterte ich den Hang hinab und landete, die Füße voran, in einem eiskalten Fluss.
    Zitternd vor Kälte, kletterte ich aus dem Wasser und schwenkte die Taschenlampe umher. Der Nebel hatte sich gelichtet, doch es goss in Strömen. Ich war im Moor, am Fuße einer kleinen Felsformation. Sie war mit Ginster überwuchert, der den Eingang zur Höhle, aus der ich gekrochen war, völlig verdeckte. Am Horizont sah ich einen Lichtstreifen, doch ich hatte keine Ahnung, ob er Morgengrauen oder Abenddämmerung bedeutete, geschweige denn, wo ich war. Ich versuchte, mein betäubtes Gehirn in Gang zu kriegen.
Wo lang? Na los, entscheide dich!
    Der Wind wehte ein leises Geräusch heran. Ich neigte den Kopf, um herauszufinden, aus welcher Richtung es kam. Es wurde leiser, und für einen Moment befürchtete ich, ich hätte es mir nur eingebildet. Dann hörte ich es wieder, lauter dieses Mal.
    Das entfernte Brummen eines Hubschraubers.
    Ich arbeitete mich den Berg hinauf. Müdigkeit und Kälte waren vergessen, als ich die Taschenlampe über meinem Kopf schwenkte.
    «Hier! Hierher!»
    Ich schrie, bis ich heiser war, und achtete nicht auf die dornigen Ginsterzweige, die mein Gesicht peitschten, während ich mich auf den Bergkamm schleppte. Jetzt konnte ich die Lichter des Hubschraubers sehen, grelle Farbtupfer am dunklen Himmel, ungefähr einen halben Kilometer entfernt. Einen schrecklichen Moment lang dachte ich, er würde direkt an mir vorbeifliegen. Dann neigte er sich und hieltauf mich zu. Die Lichter wurden größer, ich konnte an den Seiten das Polizeiemblem erkennen, und bei diesem Anblick übermannte mich die Erschöpfung. Meine Beine knickten weg, ich sackte auf dem kalten Stein zusammen und wünschte, die Maschine würde schneller fliegen.

Kapitel 28
    Ich habe den Eindruck, einen unverhältnismäßig großen Teil meines Lebens in Krankenhäusern verbracht zu haben. Das langsame Vergehen der Zeit, während ich auf harten Plastikstühlen sitze, die Angst und die Frustration sind mir nur allzu vertraut geworden.
    Das Warten.
    Die vergangenen vierundzwanzig Stunden waren so unwirklich wie ein böser Traum, den ich nicht abschütteln konnte. Das lag zum Teil an der Unterkühlung, die ich davongetragen hatte und die zwar nicht ernsthaft war, aber doch schlimm genug, dass ich immer noch fror und irgendwie neben mir stand, so als würde ich auf Ereignisse zurückblicken, die einem anderen Menschen passiert waren. Das schummrige Licht am Horizont war die Morgendämmerung gewesen. Ich hatte das Gefühl, tagelang unter der Erde gewesen zu sein, dabei waren seit dem Autounfall nur Stunden vergangen.
    Im Polizeihubschrauber war ich in eine Decke gehüllt und mit Schokolade und heißem Tee aus der Thermoskanne des Piloten versorgt worden. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt bereits unkontrolliert zitterte, hatte ich mich nicht ins Krankenhaus bringen lassen wollen. Am liebsten wäre ich geradewegszurück zu Sophie gegangen, aber das kam nicht in Frage. Nachdem das Rettungsteam eingetroffen war, blieb mir eine Weile fast das Herz stehen, denn zuerst konnten die Männer die Höhle nicht finden. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe ein Ruf aus dem Ginsterdickicht signalisierte, dass der Eingang entdeckt worden war.
    Die nächste Stunde war die längste meines Lebens. Während ich in der beengten Kabine des Hubschraubers hockte, wirr im Kopf vor Erschöpfung und benommen vom Geruch des Kerosins, hatte ich alle Zeit der Welt, das Geschehene im Geiste noch einmal zu durchleben. Im kalten Licht der Dämmerung kam mir plötzlich alles, was ich getan hatte, und jede Entscheidung, die ich getroffen hatte, falsch vor.
     
    Sophie war am Leben, aber bewusstlos, als sie herausgetragen wurde. Mittlerweile hatte man die Ginsterbüsche direkt vor dem Höhleneingang abgeholzt, damit sie auf der Trage zu dem wartenden Rettungshubschrauber transportiert werden konnte. Ich flog mit ihr, ersparte mir aber jede Frage an die Sanitäter, die sie sowieso nicht hätten beantworten können. Nachdem wir am Krankenhaus gelandet waren, kam ein Team aus Schwestern und Ärzten gebückt unter die schwirrenden Rotorblätter geeilt und brachte sie weg.
    Ich wurde etwas unaufgeregter in die Notaufnahme geführt, wo man mir ein Nachthemd und eine Infusion verpasste. Meine Schnitte und Abschürfungen wurden gereinigt, die schlimmeren mit aseptisch riechenden Mullbinden versorgt. Wieder und wieder musste ich meine Geschichte erzählen, erst einer Reihe uniformierter

Weitere Kostenlose Bücher