Verwesung
andere schützend auf ihren Kopf legte.
Jetzt war die Enge der Spalte ein Vorteil für uns. Monk stützte Sophie von hinten ab, ich zog sie von der anderen Seite an die breitere Stelle. Ich legte einen Arm um sie, sodass ihr Kopf auf meine Schulter fiel, und nahm sie Monk ab. Dann leuchtete ich mit der Taschenlampe zurück zu ihm.
Er hatte sich immer weiter vorgearbeitet, um mir mit Sophie zu helfen. Nun steckte er selbst zwischen den Felswänden fest. Er japste mit offenem Mund wie ein Fisch an Land und stieß bei jedem Atemzug ein Pfeifen aus.
«Schaffen Sie es zurück?», fragte ich keuchend. Weiter würde er jedenfalls nicht kommen.
Es war schwer zu sagen, aber ich meinte, dass er grinste. «Hab zugenommen … seit dem letzten Mal …»
Jedes Wort schien ihn furchtbare Kraft zu kosten.
Mein Gott, er wird da niemals rauskommen.
«Hören Sie, ich kann …»
«Schnauze … Raus mit ihr …»
Ich zögerte, aber nur einen Augenblick. Er war hier unten schon lange sehr gut ohne Hilfe klargekommen, und ich musste mich um Sophie kümmern. Halb tragend, halb ziehend,schleppte ich sie weiter. Einmal schaute ich zurück, aber da war nur Finsternis.
Zwar war die Passage jetzt etwas breiter, aber Sophie hing mir schlaff und schwer in den Armen. Ich konnte nichts anderes tun, als sie abzustützen. Über den unebenen Boden der Spalte strömte Wasser, das mir über die Stiefel floss. Ich konnte nicht mehr sehen, wohin ich trat. Immer wieder stolperte ich, und unsere Jacken blieben an Felsvorsprüngen hängen. Ich kämpfte mich weiter vor, denn wenn wir nun feststecken sollten, wären wir auf uns allein gestellt.
Plötzlich teilten sich die Wände. Nach Luft schnappend, leuchtete ich mit der Taschenlampe in einen Gang, der kaum höher war als ich, dafür aber breit genug, dass wir nebeneinander stehen konnten. Wenn Monk recht hatte, musste dies der Weg nach draußen sein.
Er führte steil nach oben. Als ich losgehen wollte, merkte ich, dass meine Beine bleischwer waren und unter Sophies Gewicht zitterten. Bevor ich weiterkonnte, brauchte ich eine Pause. Ich setzte sie auf dem Boden ab und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. «Sophie? Kannst du mich hören?»
Sie reagierte nicht. Ich überprüfte ihren Puls. Er ging zu schnell. Als ich ihr in die Augen schaute, stellte ich fest, dass die rechte Pupille sich noch mehr geweitet hatte und sich auch im direkten Licht der Taschenlampe nicht verkleinerte. Sofort wollte ich sie wieder hochheben, doch ich hatte keine Kraft mehr. Nach ein paar Versuchen wäre ich fast zusammengebrochen. Ich setzte Sophie ab.
Es ist hoffnungslos.
Fast hätte ich losgeheult. Ich hatte keine Ahnung, wie weit es noch war, aber ich konnte sie keinen Meter mehr tragen. Um sie zu retten, hatte ich im Grunde nur eine Möglichkeit.
Ich musste sie zurücklassen.
Vergeude keine Zeit. Tu es.
Ich zog mir die Jacke aus, legte ihr vorsichtig die Ärmel unter den Kopf und deckte sie mit dem Rest zu. Die Kälte drang mir sofort in die Knochen, aber das war mir egal. Als ich zu ihr runterschaute, wurde ich unschlüssig.
Gott, ich kann das nicht tun.
Aber ich hatte keine Wahl.
«Ich komme zurück, versprochen», sagte ich. Meine Stimme bebte vor Kälte. Ich bückte mich und küsste sie. Dann drehte ich mich um und ließ sie in der Dunkelheit allein.
Der Gang wurde immer steiler. Bald musste ich auf Händen und Knien hochkriechen. Wände und Decke kamen näher, bis der Gang nur noch ein Tunnel war. Im Licht der Taschenlampe sah ich nichts als ein schwarzes, von Felsen umgebenes Loch. Es schien endlos zu sein. Vor lauter Erschöpfung wurde mir schwindelig. Meine Sinne begannen, mir Streiche zu spielen, und ich glaubte, ich würde mich nach unten bewegen und immer tiefer in den Untergrund kriechen anstatt nach oben an die Oberfläche.
Dann strich mir etwas übers Gesicht. In heller Panik riss ich es weg, und als etwas in meinem Haar hängen blieb, schrie ich auf. Ich richtete die Taschenlampe nach oben und sah dornige Zweige.
Pflanzen?
, dachte ich benommen. Ich spürte, wie mir Wasser aufs Gesicht tropfte, doch erst als mir ein kalter Wind ins Gesicht blies, wurde mir klar, dass es Regen war.
Ich war draußen.
Es war stockdunkel. Im Licht der Taschenlampe sah ich, dass ich inmitten eines Ginsterdickichts an einem felsigen Hang herausgekommen war. Ich musste mich unter den dornigen,tropfenden Zweigen hindurchzwängen, die an meinen Sachen hängen blieben und mir die Haut aufkratzten. Die
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